Umfassende Demokratie:  Die Antwort auf die Krise der Wachstums-und Marktwirtschaft


TEIL II: WEGE ZU EINER FÖDERALEN UMFASSENDEN DEMOKRATIE


 

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KAPITEL 5 : Für eine neue Konzeption der Demokratie

 

Mit dem folgenden Kapitel verfolge ich zwei Ziele. Erstens möchte ich zeigen, dass Demokratie mit jeder Form von Machtkonzentration unvereinbar ist, und die daraus folgende Tatsache diskutieren, dass weder repräsentative Demokratie noch Marktwirtschaft als politische oder wirtschaftliche Demokratie bezeichnet werden können. Zweitens möchte ich die neue Konzeption einer umfassenden Demokratie entwickeln, die den öffentlichen Bereich auf das Gebiet der Wirtschaft, des Sozialen und der Ökologie ausdehnt.

Im ersten Abschnitt demonstriere ich die Unvereinbarkeit von Demokratie mit der kapitalistischen ebenso wie der „sozialistischen“ Version der Wachstumswirtschaft. Der zweite Abschnitt umreißt die Beziehung zwischen den verschiedenen Konzepten von Demokratie und den verschiedenen Konzeptionen von Freiheit. Außerdem führe ich die Unterscheidung zwischen „etatistischen“ und nicht etati­sti­schen Formen von Demokratie ein. Im dritten Abschnitt werden die wichtigsten Konzeptionen der Demokratie untersucht und einander gegenübergestellt. Dabei zeige ich, dass die verschiedenen Konzepte einer „radikalen“ Demokratie, wie sie gegenwärtig von der Linken entwickelt werden, wenig mit der klassischen Bedeutung von Demokratie als gleicher Aufteilung der Macht zu tun haben.

Im letzten Abschnitt entwickle ich das Konzept der umfassenden Demokratie und untersuche ihre verschiedenen Komponenten, nämlich die politische, wirtschaftliche und ökologische Demokratie sowie die „Demokratie im sozialen Bereich“. Dabei weise ich besonders darauf hin, dass die neue Konzeption von der Voraussetzung ausgeht, dass Demokratie nicht einfach nur eine besondere, auf politischer und sozialer Gleichheit basierende Struktur ist, sondern zugleich ein Prozess der sozialen Selbstinstitution und ein Projekt. Dieses Thema wird dann in Kapitel 8 weiter untersucht. Schließlich nehme ich die verschiedenen Auffassungen von der Rolle des Bürgers unter die Lupe und stelle sie der Konzeption dieser Rolle innerhalb der Konzeption der umfassenden Demokratie gegenüber.

 

Demokratie und Wachstumswirtschaft


 

Wie wir in Kapitel 2 gesehen haben, führte die auf dem Prinzip des kompromisslosen Wachstums beruhende Dynamik der Marktwirtschaft zur Wachstumswirtschaft. Diese hatte im Zwanzigsten Jahrhundert entweder eine kapitalistische oder eine „sozialistische“ Form - beides Wirtschaftstypen, die auf einem hohen Maß an Konzentration wirtschaftlicher Macht basieren. Da wirtschaftliche Konzentration jedoch unvereinbar mit der Streuung politischer Macht ist, nimmt es nicht wunder, dass die wachsende Konzentration wirtschaftlicher Macht von einer entsprechenden Konzentration politischer Macht begleitet war. Da aber sämtliche Konzeptionen von Demokratie die Streuung von Macht beinhalten, sind beide historischen Versionen der Wachstumswirtschaft im selben Maß, wie sie einen hohen Grad an Machtkonzentration mit sich bringen, mit Demokratie unvereinbar. Befassen wir uns nun etwas gründlicher mit der Frage der Vereinbarkeit von Demokratie mit den beiden Versionen der Wachstumswirtschaft.

 

Die Vereinbarkeit von Demokratie mit der kapitalistischen Wachstumswirtschaft

 

Die Unvereinbarkeit von Demokratie mit der kapitalistischen Wachstumswirtschaft basiert auf der Tatsache, dass die Hauptelemente dieses Typus von Wachstumswirtschaft - Wachstum und Ausbreitung des Marktes - mit Demokratie unvereinbar sind. Was nun erstens das Wachstum betrifft, so hat die dem Prinzip des unbedingten Wachstums gehorchende kapitalistische Wachstumswirtschaft nicht nur zur Konzentration der wirtschaftlichen, sondern auch zur Konzentration der politischen Macht geführt. Tatsächlich war die Konzentration politischer Macht immer das funktionale Gegenstück der Konzentration wirtschaftlicher Macht. Dementsprechend ist die in der liberalen Phase erfolgte Konzentration politischer Macht in den Händen von Parlamentariern in der etatistischen und dann der neoliberalen Phase auf Kosten der Parlamente von einem noch höheren Grad von Machtkonzentration in der Hand von Regierungen und der Führung von „Massen“-Parteien abgelöst worden.[1] Darüber hinaus kommt Robert Basso, ein Wirtschaftswissenschaftler der Harvard University, in einem Artikel für das Journal of Economic Growth von 1996 anhand eines Überblicks von 100 Ländern in der Zeitspanne von 1960 bis 1990 zu der die historische Unvereinbarkeit von Demokratie mit kapitalistischem Wachstum bestätigenden Schlussfolgerung, dass wirtschaftliche Wachstumsraten in einer negativen Korrelation mit einer Erweiterung von Demokratie stehen!

 

Wenn wir uns zweitens die Ausbreitung des Marktes betrachten, also den historischen Prozess, der seit Entstehen der Marktwirtschaft zur schrittweisen Beseitigung gesellschaftlicher Kontrollen über den Markt geführt hat, so ist die Unvereinbarkeit dieses Prozesses mit Demokratie offensichtlich. Wie wir bereits gesehen haben, liegt die Minimierung gesellschaftlicher Kontrollen über den Markt im Interesse jener kleinen Minderheit, welche die Produktionsmittel besitzt und/oder kontrolliert, und ist von dieser Minderheit auch immer angestrebt worden. Da nun aber in einer kapitalistischen Wachstumswirtschaft gerade die Menschen, die keine Kontrolle über die Produktionsmittel haben, die große Mehrheit der Bevölkerung darstellen, ist die Wirtschaft unter diesen Verhältnissen um so empfänglicher für den Prozess der Ausbreitung des Marktes, je oligarchischer die Form der politischen Organisation ist.

 

Es ist daher nicht überraschend, dass die gegenwärtige, von einer weiteren Konzentration wirtschaftlicher Macht begleitete Phase der internationalen Ausbreitung des Marktes mit einer parallel dazu verlaufenden Konzentration der politischen Macht einherging. Obwohl wir also Thomas Martin darin zustimmen können,[2] dass wir am Ende unseres Jahrtausends einem Ende der Souveränität entgegengehen, ist es jedoch nicht die Souveränität im allgemeinen, die dahinschwindet, sondern die Souverä­nität des Nationalstaats, und dabei insbesondere dessen wirtschaftliche Souveränität. Der Niedergang der staatlichen Souveränität ist direkt mit der gegenwärtigen internationalisierten Phase der Marktwirtschaft und dem ihr entsprechenden Dahinschwinden des Nationalstaats verknüpft. In diesem Kontext könnte man behaupten, dass die staatliche Souveränität gegenwärtig zum einen durch die Souveränität des Marktes, zum anderen durch eine Form supranationaler Souveränität ersetzt wird. Ersteres bedeutet, dass es heute mehr als jemals zuvor der Markt ist, der über Inhalt und Geltungsbereich der Menschenrechte bestimmt, und dieser Tatbestand gilt durchaus nicht nur für die wirtschaftlichen Rechte, sondern wirft darüber hinaus die allgemeine Frage auf, wer überhaupt in der Lage ist, seine Menschenrechte auszuüben. Letzteres bedeutet, dass die politische und wirtschaftliche Macht heute auf der nationenübergreifenden Ebene zwischenstaatlicher Institutionen („Gruppe der 7“, Europäische Kommission) und internationaler Organisationen (Welthandelsorganisation WTO, IWF, Weltbank) sowie auf der Ebene des sich herausbildenden Netzwerks städtisch-regionaler Regierungsinstitutionen konzentriert ist.[3]

 

Wachstum und Ausbreitung des Marktes bewirken historisch gesehen, dass die Politik in der kapitalistischen Wachstumswirtschaft zum staatlichen Management wird,[4] bei dem Denkfabriken - „die Systemanalytiker der unmittelbaren Gegenwart“ - die Politik und deren praktische Umsetzung erarbeiten.[5] Darüber hinaus ist der beständige Niedergang der wirtschaftlichen Souveränität von einer mit ihm einhergehenden Verwandlung des öffentlichen Bereichs in eine reine Verwaltungsangelegenheit begleitet. So werden etwa internationale Zentralbanken eingerichtet, die in Zukunft unabhängig von politischen Kontrollen einschneidende Entscheidungen über das wirtschaftliche Leben von Millionen von Bürgerinnen und Bürgern treffen werden. Die geplante Europäische Zentralbank, welche die Kontrolle über die gemeinsame europäische Währung übernehmen wird, ist nur eines von vielen Beispielen dafür. Hannah Arendt hat diesen Zustand bereits prophetisch beschrieben, obwohl sie nicht vorhergesehen hat, dass nicht das „Absterben des Staates“, sondern die Konzentration der Macht an der Spitze zur Politik als reiner Verwaltungstätigkeit führen würde:

Wo immer die Gesellschaft sich voll entfaltet und den Sieg über alle anderen, nicht-gesellschaftlichen Elemente davonträgt, zeitigt sie notwendigerweise, wenn auch in verschiedenen Formen, eine solche „kommunistische Fiktion“, deren Merkmal ist, dass in ihr wirklich mit „unsichtbarer Hand“ regiert wird, dass ihr Herrscher ein Niemand ist. Dann tritt das bloße Verwalten in der Tat an die Stelle von Staat und Regierung, was Max ganz richtig als ein „Absterben des Staates“ vorausgesagt hat, wiewohl er sich irrte, wenn er meinte, dass nur eine Revolution dieser Entwicklung zum Siege verhelfen könnte, und sich verhängnisvoller irrte, wenn er glaubte, dass ein vollständiger Sieg der Gesellschaft schließlich in das „Reich der Freiheit“ führen würde.[6]

 

Die Vereinbarkeit von Demokratie mit der „sozialistischen“ Wachstumswirtschaft

 

Was die „sozialistische“ Wachstumswirtschaft betrifft, basiert ihre Unvereinbarkeit mit Demokratie auf der Tatsache, dass das vorherrschende gesellschaftliche Paradigma im ehedem „real-existierenden Sozialismus“ auf der Idee gründete, die Maximierung der Produktion und die Entwicklung der Produktivkräfte sei das vorrangige Ziel der menschlichen Gesellschaft. Insoweit die Verwirklichung dieses Ziels die Konzentration wirtschaftlicher und politischer Macht in den Händen der bürokratischen Parteielite und der Planer voraussetzte, war daher in diesem System die Konzentration von Macht unvermeidlich. Außerdem brachte die Tatsache, dass das herrschende gesellschaftliche Paradigma für sich in Anspruch nahm, auf einer „Wissenschaft“ (dem Marxismus) zu basieren, die zwingende Notwendigkeit mit sich, die Richtigkeit nämlicher Wissenschaft zu „beweisen“, indem man sämtliche konkurrierenden Wirtschaftssysteme auf dem Gebiet der Produktion übertraf. Daher konnte es im Falle eines möglichen Widerspruchs zwischen dem vorherrschenden gesellschaftlichen Paradigma und dem Prinzip der Demokratie für die sowjetische Elite nicht den mindesten Zweifel darüber geben, welcher Teil geopfert werden müsste. Es kann also kaum verwundern, dass Lenin bereits 1920 erklärte, dass „in letzter Instanz jede Art von Demokratie als politischer Überbau im allgemeinen ... der Produktion dient“, um damit die Romantiker, die zur Arbeiterkontrolle und zur industriellen Demokratie zurückkehren wollten, daran zu erinnern, dass „Industrie unentbehrlich ist, Demokratie aber nicht“.[7]

 

Während es also im ursprünglichen leninistischen Projekt der sowjetischen Demokratie, wie es in Staat und Revolution zum Ausdruck kam, um die Veränderung von Machtbeziehungen ging, hat die sowjetische Elite seit 1920 immer die Auffassung vertreten (bei deren Übernahme zweifellos auch „äußere“ Ereignisse eine bedeutende Rolle spielten), es sei ausschließlich die Gleichheit im Hinblick auf das Eigentum und nicht die Gleichheit in der Verteilung der Macht, die den Sozialismus ausmacht. Was dieses Konzept attraktiv machte, war offensichtlich: Es ging dabei um die Maximierung der Produktion, ein Ziel, dass als das Hauptziel des Sozialismus überhaupt identifiziert wurde. Wie Harding schreibt:

Der Sozialismus wurde als Maximierung der Produktion begriffen, die angeblich nur durch das staatliche Eigentum an den Produktionsmitteln und die Realisierung eines nationalen Plans für die Verteilung sämtlicher Ressourcen erreicht werden konnte ... der Kniff bestand darin, ... die Anhänger dieser Ideologie davon zu überzeugen, dass es sich bei den wesentlichen, die Gesellschaft betreffenden Fragen nicht um politische Fragen handelt, bei denen es um die Macht bestimmter Menschen über andere Menschen geht, ... sondern dass es statt dessen um Fragen geht, deren optimale Lösung sich aus der korrekten Anwendung objektiver oder wissenschaftlicher Erkenntnisse ergibt.[8]

Die Geschichte hat uns demnach unzweideutig demonstriert, dass Demokratie mit beiden Versionen der Wachstumswirtschaft unvereinbar ist. Hier stellt sich nun die entscheidende Frage, ob vielleicht nicht nur die Wachstumswirtschaft - so, wie sie sich geschichtlich entwickelt hat - unvereinbar mit Demokratie ist, sondern die liberalen und sozialistischen Konzepte von Demokratie selbst, auf denen die beiden Versionen der Wachstumswirtschaft basierten.

 

Demokratie, Freiheit und Autonomie


 

Abgesehen von „Sozialismus“ sind im Lauf des zwanzigsten Jahrhunderts nur wenige Worte so nachhaltig missbraucht worden wie „Demokratie“. Dabei ist die Bedeutung des Wortes, zumeist von liberalen Akademikern und Politikern, aber auch von libertären Theoretikern, im allgemeinen dergestalt verfälscht worden ist, dass das gegenwärtig vorherrschende oligarchische System der liberalen „Demokratie“ mit der Demokratie als solcher gleichgesetzt wurde. Eine gute Illustration dieser Verfälschung findet sich in folgender Einführung zu diesem Thema in einem modernen Lehrbuch zur Demokratie:

Das Wort Demokratie kommt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich Herrschaft durch das Volk. Es wird manchmal behauptet, die demokratische Regierungsform sei in den Stadtstaaten des alten Griechenland entstanden, und die demokratischen Ideale seien uns aus dieser Zeit überliefert worden. In Wirklichkeit ist diese These nicht jedoch sehr hilfreich. Die Griechen gaben uns das Wort, aber sie lieferten uns kein Modell. Die Voraussetzungen und die Praktiken der Griechen unterschieden sich sehr von denen moderner Demokraten.[9]

So argumentiert der Autor, nachdem er versichert hat, Demokratie sei eine Form von „Herrschaft“ (ein Irrtum, der von einigen heutigen Libertären und Anarchisten wiederholt wird), im weiteren:

...wenn man Herrschen als ein Handeln auffasst, das autoritative Entscheidungen hervorbringt, die zu für die Gesellschaft bindenden Gesetzen und Regulationen führen, liegt auf der Hand, dass in modernen Gesellschaften mit großer Bevölkerung außer im Fall gelegentlicher Volksabstimmungen nur vergleichsweise sehr wenige Menschen die Herrscher sein können. Damit also die Definition brauchbar bleibt, muss Herrschen in dem wesentlich schwächeren Sinn aufgefasst werden, in dem es die Wahl der Herrscher und das Beeinflussen ihrer Entscheidungen bedeutet.[10]

Nachdem der Autor aus diesem Blickwinkel den Schluss gezogen hat, „eine objektive und präzise Definition von Demokratie“[11] sei nicht möglich, widmet er den Rest seines Buches einer Diskussion der westlichen Regimes, die er als „Demokratien“ bezeichnet. Wie ich weiter unten zu zeigen versuchen werde, steht das moderne Konzept der Demokratie aber in praktisch keiner Beziehung zu der Auffassung von Demokratie, wie sie im klassischen Griechenland herrschte. Darüber hinaus hat die heutige Praxis, den Ausdruck Demokratie mit mehreren einschränkenden Adjektiven zu versehen, die Bedeutung des Konzepts weiter vernebelt und den Eindruck hervorgerufen, es gebe mehrere Formen von Demokratie. So sprechen Liberale von „moderner“, „liberaler“, „repräsentativer“ oder „parlamentarischer“ Demokratie, Sozialdemokraten reden von „sozialer“, „ökonomischer oder „industrieller“ Demokratie, und die Leninisten verwendeten Begriffe wie „sowjetische“ und später dann „Volks“-Demo­kra­tie, um die Länder des „real-existierenden Sozialismus“ zu beschreiben.

 

Aber wie ich im folgenden zu zeigen versuche, gibt es auf der politischen Ebene nur eine einzige Form von Demokratie, nämlich die direkte Ausübung der Souveränität durch die Menschen selbst. Sie stellt eine Form der gesellschaftlichen Institution dar, die jede Form des „Herrschens“ ablehnt und die gleiche Verteilung der politischen Macht unter sämtliche Bürgerinnen und Bürger institutionalisiert. Aus der damit postulierten Hypothese, nach der es nur eine einzige Form der politischen Demokratie gibt, folgen zwei wichtige Schlüsse.

 

Der erste Schluss besagt, dass es sich bei allen anderen als Demokratie bezeichneten Formen (der „repräsentativen“, „parlamentarischen“ usw. Demokratie) nur um unterschiedliche Formen von „Oligarchie“ und damit um die Herrschaft weniger handelt. Das bedeutet, dass die einzigen Adjektive, die dem Wort Demokratie vorausgehen dürfen, solche sind, die darauf abzielen, den Geltungsbereich der Demokratie auf die Demokratie im wirtschaftlichen oder in sonstigen gesellschaftlichen Bereichen auszuweiten. Die Verwendung solcher Adjektive ist gerechtfertigt, weil wirtschaftliche Demokratie oder Demokratie am Arbeitsplatz usw. den Athenern - für die ausschließlich politische Aktivitäten zum öffentlichen Bereich gehörten - in der Tat unbekannt war. Daher weist Hansen zurecht darauf hin, dass „die Historiker sich darüber einig sind, dass Gleichheit in Athen ein rein politisches Konzept war, das nie auf die Sphäre des Sozialen oder der Wirtschaft ausgedehnt wurde“.[12] Und um auf die Ausdehnung des klassischen Konzepts von Demokratie auf den Bereich, des Sozialen, der Wirtschaft und der Ökologie zu verweisen, stelle ich im vorliegenden Buch dem Wort Demokratie das Adjektiv „umfassend“ voran.

 

Die zweite Schluss aus unserer Hypothese besagt, dass die Argumente, die von den „zivilgesellschaftlich“ orientierten „Linken“ zugunsten einer „Vertiefung“ der Demokratie vorgebracht werden, in Wirklichkeit darauf hinauslaufen, die heutigen Regimes des Westens, die von Castoriadis treffend als „liberale Oligarchien“[13] charakterisiert werden, weniger oligarchisch machen zu wollen. Ein typisches Beispiel für ein derartiges pseudodemokratisches Argument liefert David Beetham. Danach sind „Meinungsverschiedenheiten über die Bedeutung von Demokratie in Wirklichkeit Meinungsverschiedenheiten darüber, wie viel [Hervorhebung von mir] Demokratie wünschenswert oder praktikabel ist ... man kann also bei jeder Kombination politischer Arrangements sinnvoll danach fragen, wie sie demokratischer gemacht werden könnten“.[14] Nachdem der Autor auf diese Weise die entscheidende Frage nach dem Konzept von Demokratie umgangen hat, indem er einen lediglich quantitativen Unterschied zwischen der klassischen und der liberalen Konzeption von Demokratie abnimmt (siehe Seite 196 f.), zieht er danach den bequemen Schluss, es gehe ausschließlich darum, die gegenwärtige liberale Demokratie demokratischer zu machen, da sie ja ohnehin bereits eine Demokratie ist! Es ist daher wenig erstaunlich, dass derselbe Autor auf der Basis fadenscheiniger Prämissen wie dieser rasch mit dem päpstlichen Urteil bei der Hand ist, dass „es keine ernsthafte demokratische Alternative gibt“[15] um dann gemütlich die „Grenzen“ der Demokratisierung zu erörtern, die Frage nämlich, wie weit die Demokratisierung gegen könne, ohne die gegenwärtige „demokratische“ Ordnung selbst zu gefährden.

 

Aber jede Konzeption von Demokratie basiert in entscheidendem Maß auf der Bedeutung, die Freiheit und Autonomie zugemessen wird. Das bedeutet, dass unser Ausgangspunkt bei der Untersuchung unterschiedlicher Konzeptionen von Demokratie eine Diskussion der Bedeutung von Freiheit und Autonomie sein sollte - Begriffen, die, ebenso wie Demokratie und Sozialismus, in der Geschichte und besonders in unserem Jahrhundert so viel gebraucht und missbraucht worden sind.

 

Wie lässt sich Freiheit definieren?

 

Ein nützlicher Ausgangspunkt bei der Definition von Freiheit ist die von Isaiah Berlin eingeführte Unterscheidung[16] zwischen dem „negativen“ und dem „positiven“ Konzept von Freiheit (bei Berlin liberty/freedom, Ausdrücke, die er in einem austauschbaren Sinn verwendet). Das erste Konzept bezeichnet die Abwesenheit von Beschränkungen, das heißt, die Freiheit des Einzelnen, zu tun was immer er oder sie will („Freiheit von“), wogegen das zweite sich auf die Freiheit bezieht, „Dinge zu tun“, sich mit der eigenen Entwicklung zu befassen oder an der Regierung der eigenen Gesellschaft teilzunehmen („Freiheit zu“). Grob gesprochen könnte man sagen, dass, historisch gesehen, das negative Konzept von Freiheit von Liberalen, individualistischen Anarchisten und Libertären übernommen wurde, während Sozialisten und die Mehrzahl der Anarchisten sich des positiven Konzeptes bedienten.

 

So wurde das negative Konzept von Freiheit von liberalen Philosophen wie Thomas Hobbes, Jeremy Bentham, John Stuart Mill entwickelt, die in erster Linie die Etablierung von Kriterien zur Bestimmung der angemessenen Grenzen staatlicher Eingriffe anstrebten. In der liberalen Philosophie sind die Bürger frei, soweit sie nicht durch Gesetze und Regulierungen eingeschränkt werden. Von daher ist klar, dass die liberale Konzeption von Freiheit die durch das Vorhandensein von Staat und Markt bedingten Machtrelationen voraussetzt, solange sich diese „im Rahmen des Gesetzes“ bewegen. Mit anderen Worten, das Freiheitskonzept der Liberalen setzt die von der Gesellschaft abgetrennte Existenz des Staates voraus; insofern handelt es sich bei ihrer Konzeption von Demokratie um eine „etatistische“ Konzeption.

 

Das negative Konzept von Freiheit ist aus mehreren Gründen kritisiert worden. Die Liberalen selbst haben diese Konzeption kritisiert, da sie nicht einmal das von den liberalen Demokratien zugestandene Recht auf Wahl der Regierenden einschließt,[17] das ganz klar eine „Freiheit zu“ und nicht eine „Freiheit von“ ist. Noch wichtiger ist jedoch die philosophische Kritik, die darauf hinweist, dass die Menschen schon immer in durch soziale Regeln und Regulationen zusammengehaltenen Gemeinschaften gelebt haben, und dass daher die Geschichte der Menschen nicht einfach, wie es liberale Philosophen wie Hobbes und Locke annahmen, als Geschichte isolierter Individuen betrachtet werden kann, die zusammenkommen, um eine Zivilgesellschaft bilden. Mit anderen Worten, menschliche Werte sind gesellschaftlich determiniert, und soziale Regeln und Regulationen zur Aufrechterhaltung dieser Werte stellen keine Restriktion irgendeiner präexistenten Freiheit dar, sondern sind Bestandteil der Bedingungen, die ein befriedigendes Leben erst möglich machen.[18]

 

Auf der anderen Seite denkt man beim positiven Konzept von Freiheit im allgemeinen an die Selbstverwirklichung durch die politische Institution der Gesellschaft, die angeblich den „allgemeinen Willen“ zum Ausdruck bringt. Aber dann stellt sich natürlich sofort die Frage: Welcher Typus gesellschaftlicher Institution könnte diesen allgemeinen Willen zum Ausdruck bringen? Historisch gesehen war die positive Konzeption der Freiheit ähnlich wie die negative Konzeption mit dem „etatistischen“ Konzept von Demokratie verbunden; der Staat ist von der Gesellschaft getrennt und soll angeblich den allgemeinen Willen zum Ausdruck bringen. Ich sollte darauf hinweisen, dass das positive Konzept der Freiheit während der Periode vom Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg unter Etatisten aller Schattierungen von den Nazis bis zu den Stalinisten populär war. Es ist daher kein Wunder, dass der Zusammenbruch des Etatismus als Ideologie und politische Praxis zu einem korrespondierenden Niedergang des positiven Konzepts von Freiheit und zur gegenwärtigen Konjunktur der negativen Konzeption von Freiheit geführt hat. Wie ich jedoch weiter unten zeigen werde, besteht zwischen dem positiven Konzept von Freiheit und der „etatistischen“ Form von Demokratie kein notwendiger Zusammenhang; tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Angesichts der fundamentalen Unvereinbarkeit etatistischer Formen von Demokratie mit Selbstbestimmung und individueller wie kollektiver Autonomie sind sie mit jedem Konzept von Freiheit unvereinbar, ganz gleich, ob dieses positiv oder negativ ist.

 

Aus all diesen Gründen führte der ambivalente Charakter der Beziehung zwischen Freiheit und der etatistischen Form von Demokratie zu einer Situation, in der sowohl der etatistische als auch der nicht-etatistische Flügel der Linken die positive Konzeption von Freiheit in Gestalt der bewussten Kontrolle über Gesellschaft und Natur übernahm. So definierte Engels als Vertreter des etatistischen Flügels Freiheit als „Herrschaft über uns selbst und über die äußere Natur“.[19] Ferner ist laut Kolakowski für Marxisten „Freiheit der Grad an Macht, den eine Person oder eine Gemeinschaft über die Bedingungen ihres Lebens auszuüben imstande sind“.[20] Auf Seiten der Anarchisten hatte Bakunin genau denselben Begriff von Freiheit, die er als „die auf der respektvollen Befolgung der Gesetze der Natur basierende Herrschaft über äußere Dinge“ definierte.[21] Ähnlich vertritt auch Emma Gold­man explizit eine positive Konzeption von Freiheit: „Wahre Freiheit ... ist nicht die negative Tatsache, frei von etwas zu sein ... wahre, echte Freiheit ist positiv: Sie ist die Freiheit zu etwas; es ist die Freiheit zu sein, zu tun.“[22]

 

Und schließlich hat die heutige ideologische Hegemonie liberaler Ideen einige libertäre Denker beeinflusst, die von individualistischen Konzeptionen von Freiheit ausgehen. So definiert McKercher Freiheit „als die Möglichkeit, zwischen Alternativen zu wählen“.[23] Diese Konzeption von Freiheit trennt jedoch die Selbstbestimmung des Individuums von jener der Gemeinschaft, oder mit anderen Worten, die Selbstbestimmung des Individuums von der des sozialen Individuums. Das führt dazu, dass die Beziehung zwischen der politischen Institution der Gesellschaft und der Selbstbestimmung des sozialen Individuums zerrissen wird (kein Wunder, das der Bestseller Milton Friedmans den Titel Freiheit der Wahl[24] trug). Tatsächlich stellt diese Definition selbst dann noch nicht die explizite Frage nach der politischen Institution der Gesellschaft, wenn wir sie als gleich verteilte Wahlmöglichkeit auffassen, um sie mit der Ethik von Gleichheit und Demokratie - dem, was McKercher „die qualitativen Bereiche der Wahl“ nennt[25] - vereinbar zu machen. Aber es ist gerade die politische Institution, die in entscheidende Weise bestimmt, worin „die Alternativen“ und daher auch die Möglichkeiten der Wahl überhaupt bestehen. Es ist daher kein Zufall, dass eine solche Definition von Freiheit sich leicht mit dem Ethos des Individualismus, des Privateigentums und des Kapitalismus verbinden lässt. Auch überrascht es kaum, dass die Übernahme einer solchen Definition von Freiheit leicht zu einer Situation führen könnte, in der „Freiheit zu Individualismus, und Individualismus zum Besitz von Eigentum, und Besitz zu Demokratie wird“, so dass am Ende „Privateigentum und Kapitalismus zum Synonym für ‘Demokratie’ werden“.[26]

 

Meiner Ansicht nach lässt sich Freiheit am besten definieren, indem man sie in Begriffen individueller und kollektiver Autonomie ausdrückt. Eine solche Definition von Freiheit kombiniert nicht nur individuelle Freiheit mit kollektiver Freiheit, indem sie die Freiheit des Einzelnen fest in der demokratischen Organisation der Gemeinschaft verankert, sondern transzendiert auch die Gegensatzpaare Liberalismus vs. sozialistischer Etatismus und Individualismus vs. Kollektivismus.

 

Murray Bookchin hat darauf hingewiesen, dass das Wort „Autonomie“ im Englischen persönliche Freiheit oder Selbstbestimmung bezeichnet und daher „eine Disjunktion zwischen Materiellem und Politischem [schafft], die der griechischen Idee von Unabhängigkeit fremd gewesen wäre“.[27] Die ursprüngliche griechische Bedeutung des Wortes hatte jedoch eine definitiv politische Dimension, in deren Rahmen persönliche Autonomie von kollektiver Autonomie nicht getrennt werden konnte. Der Ausdruck Autonomie (autonomia) kommt von dem griechischen Wort „autonomoV“ (autonomos), das bedeutet: (sich) selbst sein eigenes Gesetz (geben). Andererseits hatte das griechische Wort für Freiheit (eleutheria) je nach Kontext eine weiter gefasste Bedeutung als Autonomie. So weist Hansen darauf hin, dass in den Quellen mindestens drei verschiedene Bedeutungen bezeugt sind: Im gesellschaftlichen Kontext kontrastierte eleutheria Freiheit mit Sklaverei; im Kontext der Verfassung verwies der Begriff sowohl auf politische Partizipation im öffentlichen Bereich und persönliche Freiheit im privaten Bereich, während im politischen Kontext „eleutheria im Sinne von autonomia zu verstehen war und die Freiheit der Polis, im Unterschied zur Freiheit innerhalb der Polis, bedeutete“.[28]

 

Und so bezeichnet Autonomie „ein neues eidos innerhalb der gesamten Geschichte des Seins: einen Typus des Seins, der sich reflektierend selbst die Gesetze seines Seins gibt“.[29] Anders ausgedrückt impliziert Autonomie einen Prozess der expliziten Selbstinstitution:

Die poleis hören - zumindest im Fall Athens, über das wir am besten informiert sind - nie auf, ihre jeweiligen Institutionen in Frage zu stellen; der demos verändert beständig die Regeln, nach denen er lebt. ... Diese Bewegung ist eine Bewegung der expliziten Selbstinstitution. Die grundlegende Bedeutung der expliziten Selbstinstitution ist Autonomie: Wir stellen unsere eigenen Gesetze auf. ... Die Gemeinschaft der Bürger - der demos - verkündet, dass sie absolut souverän (oder in Thukidydes Worten autonomos, autodikos, autoteles - selbst-gesetzgebend, selbst-richtend, selbst-regierend) ist.[30]

Daher ist eine autonome Gesellschaft eine Gesellschaft, die fähig zur expliziten Selbstinstitution ist: fähig, ihre bereits etablierten Institutionen und das, was ich als das vorherrschende gesellschaftliche Paradigma bezeichnen will, nämlich das mit diesen Institutionen verbundene System von Überzeugungen, Ideen und diesen entsprechenden Werten, in Frage zu stellen. Eine Stammesgesellschaft, die ihre Traditionen nicht in Frage stellen kann, eine religiöse Gesellschaft, die das göttliche Gesetz nicht hinterfragt, und eine marxistische Gesellschaft, die unfähig ist, das vorherrschende gesellschaftliche Paradigma anzuzweifeln, sind in diesem Sinn allesamt heteronome Gesellschaften, ganz ungeachtet des Grades an politischer und ökonomischer Gleichheit, den sie erreicht haben mögen.

 

Die soeben gegebene Definition von Freiheit mittels des Begriffs der Autonomie hat drei sehr wichtige theoretische Konsequenzen. Erstens impliziert sie Demokratie. Zweitens impliziert sie ein Überschreiten der traditionellen Trennung zwischen Individualismus und Kollektivismus, Liberalismus und sozialistischem Etatismus. Und drittens impliziert sie, dass Freiheit nicht auf irgendwelchen vorgefassten Urteilen über die menschliche Natur oder irgendwelchen göttlichen, sozialen oder naturgegebenen „Gesetzen“ der sozialen Entwicklung basieren kann oder sollte. Die ersten beiden Implikationen erörtere ich später in diesem Kapitel; der dritten widme ich mich in Kapitel 8 (siehe Seite 386 f.).

 

Was die erste Implikation der Definition von Freiheit auf der Basis von Autonomie, das heißt, die Beziehung zwischen Autonomie und Demokratie betrifft, so ist eine autonome Gesellschaft ohne autonome Individuen undenkbar und umgekehrt. So gilt im klassischen Athen kein Bürger als autonom, wenn er nicht gleichberechtigt an der Macht teilhat, das heißt, wenn er sich nicht am demokratischen Prozess beteiligt. Wie Castoriadis bemerkt, gilt generell, dass keine Gesellschaft autonom ist, die nicht aus autonomen Individuen besteht, weil „es ohne die Autonomie der anderen keine kollektive Autonomie gibt - und ich außerhalb einer solchen Kollektivität nicht wirklich autonom sein kann“.[31] Von daher ist klar, dass angesichts einer unendlichen Vielfalt von Individuen, die Bestandteil der Gesellschaft sind, schon die Billigung der Idee der Autonomie an sich unvermeidlich zur Idee der Demokratie führt.

 

In diesem Sinn sind Autonomie und Freiheit äquivalente Begriffe, obwohl dies in der angelsächsischen Tradition mit ihrer Betonung der individuellen Autonomie nicht immer klar ist. Darüber hinaus wirft eine Definition von Freiheit auf der Basis von Autonomie direkt die Frage auf, ob sich das demokratische Projekt auf die selbstreflektierende Wahl der Bürger gründen sollte und nicht auf eine „objektive“, aus einer speziellen (und notwendigerweise zweifelhaften) Interpretation der natürlichen und sozialen „Evolution“ abgeleitete Ethik. Eine Definition von Freiheit auf der Basis von Autonomie ist offenkundig nur mit der ersten, nicht mit der zweiten Möglichkeit vereinbar. Daher überrascht es wenig, dass Befürworter einer „objektiven“ Ethik sich - angeblich aufgrund der individualistischen Konnotationen, die dies mit sich bringen würde - mit einer Definition von Freiheit auf der Basis von Autonomie nichts zu tun haben wollen, obwohl die klassische Bedeutung von Autonomie in keiner Weise mit ausschließlich individualistischen Konzeptionen von Freiheit vereinbar ist.[32]

 

Freiheit, Individualismus und Kollektivismus

 

Was die zweite Implikation betrifft, so ist die Definition von Freiheit auf der Basis individueller und kollektiver Autonomie sehr nützlich, wenn wir die Dualität der Gegenüberstellung von Individualismus und Kollektivismus überwinden wollen. Die Konzeption von Freiheit auf der Basis von Autonomie macht klar, dass wir hier nicht, wie einige Libertäre der heutigen Zeit meinen, vor einer glasklaren Wahl zwischen einer „individualistischen“ Tendenz (menschliche Individuen können frei sein, um sich ihre Welt zu schaffen) und einer „kollektivistischen“ Tendenz (die Welt schafft das Individuum) stehen.[33] In Wirklichkeit geht es um die Frage, wie wir diese beiden Tendenzen transzendieren können.

 

Meiner Ansicht nach kann das nur gelingen, wenn wir die historische Tatsache anerkennen, dass die Individuen nicht absolut frei sind, ihre Welt zu schaffen; ebenso wenig schafft sich die Welt einfach die Individuen. Solange Menschen in einer Gesellschaft leben, sind sie nicht einfach Individuen, sondern soziale Individuen, die einem Prozess unterliegen, der sie so sozialisiert, dass sie den bestehenden institutionellen Rahmen und das vorherrschende soziale Paradigma internalisieren. In diesem Sinn sind sie nicht einfach frei, ihre Welt zu schaffen, sondern durch Geschichte, Tradition und Kultur konditioniert. Und doch ist dieser Sozialisationsprozess zu fast allen Zeiten - bei einer Minderheit der Bevölkerung - gestört, und unter außergewöhnlichen historischen Umständen gilt dies sogar für die Mehrheit der Bevölkerung. Dann kommt es zu einem Prozess, der in der Regel mit einer Veränderung der institutionellen Struktur der Gesellschaft und des dieser Struktur entsprechenden sozialen Paradigmas endet.

 

All dies ist schlicht eine historische Beobachtung, und ich werde nicht versuchen, sie irgendwie zu „verankern“, weil jede solche „Verankerung“ unvermeidlich auf einem geschlossenen theoretischen System basieren würde, wie es beispielsweise bei den Marxschen oder Freudschen Interpretationen des Sozialisationsprozesses der Fall ist. Diese historische Beobachtung sollte durch eine weitere ergänzt werden, die sowohl den Idealismus als auch den Materialismus transzendiert. Zu jedem gegebenen Zeitpunkt sind es nämlich weder allein ideologische Faktoren noch einfach materielle Faktoren, die über soziale Veränderungen bestimmen. Die einen mögen gelegentlich größeren Einfluss gehabt haben als die anderen und umgekehrt, aber wie Murray Bookchin[34] hervorhebt, ist das Entscheidende die Interaktion zwischen beiden. Verallgemeinerungen, die wie in den Versuchen der Marxisten und der Idealisten eine Philosophie der Geschichte begründen sollen, sind hier aber ganz einfach nicht möglich.

 

Gesellschaften sind also nicht einfach „Ansammlungen von Individuen“, sondern bestehen aus sozialen Individuen, die einerseits frei sind, ihre Welt, das heißt, ein neues System von Institutionen und ein diesen entsprechendes soziales Paradigma, zu schaffen, andererseits aber auch ihrerseits von der Welt geschaffen werden, insofern sie mit dem vorherrschenden sozialen Paradigma brechen müssen, um fähig zu werden, die Welt neu zu schaffen.

 

Ausgehend von einem Konzept der Freiheit als individuelle und kollektive Autonomie ist weder der liberale Individualismus noch der Kollektivismus - besonders in Form des sozialistischen Etatismus - mit Freiheit vereinbar. Der liberale Individualismus ist unvereinbar mit Freiheit, weil er eine negative Konzeption von Freiheit einschließt, eine Form von „Demokratie“, in der die elementare Einheit der Gesellschaft ausschließlich das Individuum ist, was mit einer Idee von der Rolle des Bürgers einhergeht, nach welcher der Bürger lediglich ein passiver Träger gewisser (hauptsächlich politischer) Rechte und individueller Rechte ist. Auch der sozialistische Etatismus ist - obwohl er von einer positiven Konzeption von Freiheit ausgeht - unvereinbar mit Freiheit, weil die Trennung von Staat und Gesellschaft (die der Theorie zufolge während der gesamten Periode des Übergangs zum kommunistischen Stadium der Gesellschaft aufrecht erhalten bleiben soll) eine Vorstellung von der Rolle des Bürgers impliziert, bei der dieser weiterhin nur passiver Träger von Rechten ist (auch wenn die politischen Rechte durch volle soziale und wirtschaftliche Rechte ergänzt werden).

 

Ein neues Projekt der Befreiung muss sich daher auf die folgenden beiden entscheidend wichtigen Punkte gründen:

  • eine Konzeption von Freiheit auf der Basis individueller und kollektiver Autonomie, und

  • eine Konzeption von Demokratie, in der nicht nur das Individuum, sondern auch die Gemeinschaft zentrale Einheit des politischen Lebens ist. So erhält das Projekt der Befreiung einen universalen Charakter, der dem rein eurozentrischen, in die ganze Welt exportierten Modell der liberalen „Demokratie“ heute fehlt. Wie Bhikhu Parekh[35] hervorhebt, definiert man in manchen Teilen der Welt das Individuum immer noch auf der Basis der Gemeinschaft und sieht das atomare liberale Individuum nicht als die grundlegende Einheit der Gesellschaft an. Außerdem gibt es einige multikommunale Gesellschaften, die sich aus mehreren stabilen Gemeinschaften zusammensetzen, welche versuchen, sich ihre traditionelle Lebensweise zu be­wahren. Das liberale Modell der Demokratie ist natürlich mit all diesen Gesellschaften unvereinbar („Sie sind der Meinung, dass der Liberalismus die Gemeinschaft zerstört)[36]; tatsächlich muss auch das klassische Modell der Demokratie drastisch ergänzt werden, um es mit den multikommunalen Gesellschaften vereinbar zu machen.

 

In diesem Licht scheinen einige neuere Versuche, Individualismus und Liberalismus mit der Strömung der libertären Linken zu „versöhnen“, äußerst anfechtbar. Das gilt zum Beispiel für L. Susan Browns Versuch, zwischen einem existentiellen Individualismus (dem Freiheit als erstrebenswertes Ziel an sich gilt) und einem instrumentellem Individualismus (der Freiheit lediglich als Mittel zur Erreichung egoistischer Konkurrenzinteressen betrachtet) zu unterscheiden, wobei das eine für den Anarchismus, das andere für den Liberalismus typisch sein soll.[37]

 

Aber wie Castoriadis hervorhebt, „würde eine Vorstellung von der Autonomie als Ziel an sich zu einer rein formalen ‚kantianischen’ Konzeption führen. Wir wünschen uns Autonomie sowohl um ihrer selbst willen als auch, um in der Lage zu sein, zu tun.“[38] Es ließe sich daher behaupten, dass es in Wirklichkeit nur einen einzigen Typ von Individualismus gibt, nämlich den instrumentalistischen, der die individuelle Autonomie als Mittel zur Verwirklichung egoistischer Konkurrenzinteressen betrachtet. Dementsprechend gibt es auch nur einen Typ von Kollektivismus, nämlich den instrumentalistischen, der in der Gestalt des etatistischen Sozialismus kollektive Autonomie als Mittel betrachtet, qua Entwicklung der Produktivkräfte dem Fortschritt zum Durchbruch zu verhelfen.

 

In Wahrheit geht es also um die Frage, ob wir Autonomie und Freiheit anstreben, um unsere im großen und ganzen auf Eigentumsrechten beruhenden eigensüchtigen Interessen zu fördern, oder ob wir Autonomie und Freiheit verwirklicht sehen wollen, um unsere Selbst-Entwicklung zu fördern, was ohne die Selbst-Entwicklung aller anderen Gesellschaftsmitglieder unmöglich ist. Bei der ersten Variante handelt es sich um liberalen Individualismus (das, was Brown instrumentellen Individualismus nennt). Dieser verträgt sich mit einer negativen Konzeption von Freiheit und einer ausschließlich individualistischen Konzeption von Autonomie. Bei der zweiten Variante, die den etatistischen Sozialismus aus den oben bereits erwähnten Gründen ausschließt, handelt es sich um eine Form von individueller Autonomie, die als untrennbar von kollektiver Autonomie betrachtet wird. Meines Erachtens ist Browns Definition des Individualismus absolut mit dem liberalen Individualismus kompatibel, aber unvereinbar mit individueller und kollektiver Autonomie. Von daher gesehen verwirrt ihre Behandlung von Anarchismus und Liberalismus die fundamentalen Unterschiede zwischen beiden, besonders im Hinblick auf ihre diametral entgegengesetzten Konzeptionen von Freiheit und Autonomie.

 

Demokratie, Souveränität und der Staat

 

Die Konzentration von Macht ist unvereinbar nicht nur mit im Sinne von Autonomie aufgefasster Freiheit, sondern sogar mit Freiheit im negativen Sinn einer „Freiheit von“.[39] Es ist daher kein Zufall, dass zum heutigen Zeitpunkt, wo Marktwirtschaft und liberale Demokratie zu einer wachsenden Konzentration wirtschaftlicher und politischer Macht führen,[40] Neoliberale und rechtsgerichtete „Libertäre“ versuchen, Macht begrifflich von Freiheit abzuspalten.[41] Der oligarchische Charakter der gegenwärtigen Regime erwächst jedoch nicht nur daraus, dass sich die wirkliche Macht - wie die Vertreter der Theorie der Elitenherrschaft meinen - in den Händen einer politischen Elite oder - nach instrumentalistischen Versionen des Marxismus - in den Händen einer ökonomischen Klasse befindet, als deren direkte oder indirekte Agenten die Politiker fungieren. Der oligarchische Charakter der heute existierenden „Demokratien“, der in Wirklichkeit jede Konzeption von Freiheit negiert, ergibt sich direkt aus der Tatsache, dass im Rahmen unserer heutigen Institutionen die Gesellschaft sowohl von der Wirtschaft als auch vom Staat getrennt ist.

 

Während die Marktwirtschaft als Ganze vor über zweihundert Jahren entstand, als einhergehend mit dem Prozess der Vermarktwirtschaftlichung der Ökonomie die meisten gesellschaftlichen Kontrollen über den Markt beseitigt wurden, hatte dieser Prozess doch schon früher, im Europa des sechzehnten Jahrhunderts eingesetzt. Auf politischen Ebene brachte die Entstehung des Nationalstaates etwa zur selben Zeit und etwa in derselben Region parallel dazu einen Prozess der Konzentration politischer Macht in Gang, zuerst in Form hochgradig zentralisierter Monarchien und später dann in Form liberaler „Demokratien“. Von da an bedeutete, wie Bookchin anmerkt, „das Wort ‚Staat’ eine professionelle zivile Autorität mit der Macht, einen ‚Staatskörper’ zu regieren“.[42

 

Ebenfalls noch im sechzehnten Jahrhundert fand der Gedanke der Repräsentation Eingang ins politische Lexikon, wobei die Souveränität des Parlaments erst im siebzehnten Jahrhundert etabliert wurde. Ebenso wie der König dereinst die Gesellschaft als Ganze „repräsentiert“ hatte, fiel diese Aufgabe nun dem Parlament zu, obwohl die Souveränität eigentlich immer noch dem Volk als Ganzem gehören sollte. Aber die seit der französischen Revolution in Europa vorherrschende Doktrin besagte nicht einfach nur, das französische Volk sei souverän und seine Meinungen seien in der französischen Nationalversammlung repräsentiert, sondern auch, dass die französische Nation souverän sei und dass die Nationalversammlung den Willen der Nation verkörpere. Birch bemerkt, dass

dies ein Wendepunkt in der Geschichte der Ideen auf dem europäischen Kontinent war, da man dort vor diesen Entwicklungen den politischen Repräsentanten als Delegierten betrachtet hatte. In der neuen, von den französischen Revolutionären vertretenen Theorie ... wird der gewählte Abgeordnete als unabhängiger Schöpfer der nationalen Gesetze und der nationalen Politik betrachtet, nicht als Vertreter seiner Wählerbasis oder von Sonderinteressen.[43]

In der Tat kann man sagen, dass die Form der liberalen „Demokratie“, die in den letzten beiden Jahrhunderte im Westen dominiert hat, nicht einmal eine repräsentative „Demokratie“, sondern nur eine repräsentative Regierung, das heißt, eine Regierung des Volkes durch dessen Abgeordnete ist. So sollten, wie Bhikhu Parekh schreibt,

die Abgeordneten durch das Volk gewählt werden, aber nach ihrer Wahl frei sein, die öffentlichen Angelegenheiten so zu verwalten, wie sie es für richtig hielten. Diese höchst effektive Art, die Regierung gegen den vollen Einfluss des allgemeinen Wahlrechts abzuschirmen, ist der Kern der liberalen Demokratie. Streng genommen ist die liberale Demokratie gar keine repräsentative Demokratie, sondern eine repräsentative Regierung.[44]

Den Bewohnern Athens war die europäische Konzeption von Souveränität vollkommen fremd, da sie keine Trennung der Souveränität von deren Ausübung kannten. Sämtliche Macht wurde direkt von den Bürgern selbst oder durch Delegierte, die durch Los und nur für eine kurze Zeit ernannt wurden, ausgeübt. Tatsächlich wurde, wie Aristoteles bemerkt, die Wahl von Delegierten durch Stimmabgabe als oligarchisch betrachtet und war nur für außergewöhnliche Umstände (meist, wenn besonderes Fachwissen gefordert war) vorgesehen; ansonsten sah man nur die Bestimmung durch das Los als demokratisch an.[45]

 

Daher hatte der Typ von „Demokratie“, wie er in Europa seit dem sechzehnten Jahrhundert errichtet worden ist, immer sehr wenig mit der athenischen Demokratie gemein. Ersterer setzt die Trennung des Staates von der Gesellschaft und die Ausübung der Souveränität durch eine getrennte Körperschaft von Vertretern voraus, während letztere auf dem Prinzip basiert, dass die Souveränität direkt von den freien Bürgern selbst ausgeübt wird. Athen kann daher schwerlich als Staat im normalen Sinne des Wortes charakterisiert werden. Wie Thomas Martin[46] zu Recht hervorhebt, „waren dezentralisierte, selbstverwaltete Gemeinschaften wie das alte Athen oder das mittelalterliche Lübeck keine ‚Stadtstaaten’ ... Ohne zentralisierte Autorität gibt es keinen Souverän; ohne einen Souverän gibt es keinen Staat.“ Auch Bookchin und Castoriadis sind der Meinung, dass die athenische Demokratie keinen staatlichen Charakter hatte.[47]

 

Daher kann meiner Meinung nach ungeachtet der Tatsache, dass die griechischen Philosophen sehr wohl von der Souveränität in der Polis sprachen,[48] was von unter Umständen als Beweis für die Existenz eines Staates verstanden werden könnte, im Fall der Athener Polis nicht wirklich von Souveränität und Staat die Rede sein. Meines Erachtens lag in Athen eine Mischung von nichtstaatlicher und staatlicher Demokratie vor. Sie war nichtstaatlich im Hinblick auf die Körperschaft der Bürger, die von niemandem „regiert“ wurde und deren Mitglieder die Macht gleichberechtigt unter sich aufteilten, und staatlich im Hinblick auf diejenigen, die nicht als vollwertige Bürger galten (Frauen, Sklaven, Einwanderer) und über die der demos die Macht ausübte.

 

Aber untersuchen wir nun im Detail die historischen Konzeptionen von Demokratie und beginnen wir dabei mit der Konzeption des klassischen Athen.

 

Konzeptionen von Demokratie


 

Die Athenische Konzeption der Demokratie

 

Obwohl es natürlich stimmt, dass Machtbeziehungen und -strukturen in der Polis nicht verschwanden (das gilt nicht nur für die wirtschaftliche Ebene, wo die Ungleichheiten offensichtlich waren, sondern selbst für die politische Ebene, wo die hierarchische Struktur der Gesellschaft aufgrund des Ausschlusses der Frauen, der Einwanderer und der Sklaven von den Verhandlungen der ecclesia klar auf der Hand lag), war die Demokratie Athens das erste geschichtliche Beispiel dafür, dass der Souverän identisch mit denjenigen war, die die Souveränität ausüben. Wie Hannah Arendt schreibt:

Was wir unter Herrschen und Beherrschtwerden, unter Macht und Staat und Regierung verstehen, kurz unsere gesamten politischen Ordnungsbegriffe galten umgekehrt als präpolitisch; sie hatten ihre Berechtigung nicht im Öffentlichen, sondern im Privaten ... Gleichheit, die in der Neuzeit immer eine Forderung der Gerechtigkeit war, bildete in der Antike umgekehrt das eigentliche Wesen der Freiheit: Freisein hieß, frei zu sein von der allen Herrschaftsverhältnissen innewohnenden Ungleichheit, sich in einem Raum zu bewegen, in dem es weder Herrschen noch Beherrschtwerden gab.[49]

Demnach ist klar, dass libertäre Definitionen von Politik als „die Herrschaft eines, einiger oder aller über alle“ und von Demokratie als „die Herrschaft aller über alle“[50] unvereinbar mit der klassischen Konzeption sowohl von Politik als auch von Demokratie sind. Es ist jedoch typisch für die Verdrehung, zu der es hier gekommen ist, dass Libertäre, wenn sie Demokratie als eine Form der „Herrschaft“ angreifen, meist direkte Demokratie mit staatlicher Demokratie verwechseln. Das ist nicht überraschend, ist es doch offenkundig unmöglich, von Herrschaft zu sprechen, wenn eine Form der sozialen Organisation vorliegt, in der niemand sich durch Gesetze und Institutionen gebunden fühlen muss, an deren Schaffung er/sie nicht direkt teilgenommen hat.[51]

 

Daher zogen die Griechen in der Erkenntnis, dass „es immer eine explizite Macht gibt und geben wird, solange es einer Gesellschaft nicht gelingt, ihre Subjekte in Automaten zu verwandeln, die die instituierte Ordnung vollständig internalisiert haben“,[52] den Schluss, dass über keinen Bürger Macht (mή άρχesqai) ausgeübt werden sollte, und dass, falls dies nicht möglich sein sollte, die Macht unter allen Bürgern gleich aufgeteilt werden sollte“.[53]

 

Es ist vielleicht sinnvoll, die Entwicklung der Demokratie in Athen zu untersuchen, indem man sie in Beziehung zu einer parallel zu ihr verlaufenden Bemühung setzt, die sozioökonomischen Unterschiede zwischen den Bürgern zu verringern, einer Bemühung, die man als Schritt zur wirtschaftlichen Demokratie betrachten kann. Meiner Ansicht nach spielte diese eingeschränkte Form von wirtschaftlicher Demokratie eine bedeutsame Rolle bei der Stärkung der demokratischen Institutionen. Auf der anderen Seite war es gerade der eingeschränkte Charakter der wirtschaftlichen Demokratie, der zusammen mit dem generell unvollständigen Charakter der Demokratie am Ende zu deren Zusammenbruch führte. Anders gesagt, möchte ich hier zu zeigen versuchen, dass der Niedergang der athenischen Demokratie nicht, wie es die Kritiker der Demokratie in der Regel behaupten, auf die der direkten Demokratie inhärent innewohnende Schwäche zurückging, sondern auf ihre Unfähigkeit, zu einer umfassenden Demokratie zu werden, und besonders darauf, dass die politische Gleichheit, welche die Athener Demokratie für ihre Bürger geschaffen hatte, letzten Endes auf wirtschaftlicher Ungleichheit gründete. In der Tat erkannte man die gravierenden Auswirkungen wirtschaftlicher Ungleichheit auf die Stabilität der Demokratie schon zur Zeit der klassischen Demokratie Athens. So bemerkt Aristoteles, dass „einige der Meinung sind, dass das Eigentum ... immer der Ausgangspunkt revolutionärer Bewegungen ist ... die einfachen Menschen werden durch Ungleichheit in der Verteilung des Eigentums zur Rebellion getrieben“.[54]

 

Während ich die wirtschaftliche Demokratie erst im nächsten Kapitel ausführlicher diskutiere, möchte ich hier eine vorläufige Definition liefern, um zur Erhellung des athenischen Konzepts von Demokratie beizutragen. Wenn wir politische Demokratie als die Autorität des Volkes (demos) in der politischen Sphäre - eine Autorität, die politische Gleichheit impliziert - definieren, dann könnte wirtschaftliche Demokratie dementsprechend als die Autorität des demos in der wirtschaftlichen Sphäre - eine Autorität, die ökonomische Gleichheit impliziert - definiert werden. Und natürlich sprechen wir vom demos und nicht vom Staat, weil die Existenz eines Staates gleichbedeutend mit der Trennung der Körperschaft der Bürger vom politischen und wirtschaftlichen Prozess ist. Wirtschaftliche Demokratie ist daher für jedes soziale System von Bedeutung, das die Integration von Gesellschaft und Wirtschaft institutionalisiert. Das bedeutet, dass in letzter Instanz der demos die Kontrolle über den wirtschaftlichen Prozess ausübt, indem ein institutioneller Rahmen demotischen Besitzes an den Produktionsmitteln geschaffen wird. In einem engeren Sinn bezieht sich wirtschaftliche Demokratie außerdem auf jedes soziale System, das die Minimierung sozioökonomischer Unterschiede, insbesondere jener, die sich aus der ungleichen Verteilung privaten Eigentums und der sich daraus ableitenden ungleichen Verteilung von Einkommen und Reichtum ergeben, institutionalisiert.

 

Natürlich bezieht sich wirtschaftliche Demokratie sowohl auf die Produktions- als auch auf die Distributionsweise des gesellschaftlichen Produkts und Reichtums. Sehen wir uns nun also die Organisation von Produktion und Verteilung im klassischen Athen an.

 

Was die Produktionsweise betrifft, machten Sklaven zwar mehr als die Hälfte der Bevölkerung Athens aus, aber von diesen arbeiteten viele entweder als unabhängige Handwerker, die ihren Herren Miete zahlten, oder verrichteten Seite an Seite mit freien Bauern Arbeit auf dem Feld. Die Sklaverei spielte daher nur im Hinblick auf denjenigen Teil der Produktion, der unter Kontrolle des Staates (wie es bei den Minen von Laurion der Fall war) und der großen Landbesitzer stand, eine bedeutende Rolle in der Produktion ökonomischen Mehrwerts. Wie Marx hervorhebt, bildete die kleine, unabhängige Wirtschaft von Bauern und Handwerkern und nicht die Sklaverei in der Antike die wirtschaftliche Basis der griechischen Stadt:

Die Voraussetzung der Fortdauer des Gemeinwesens ist die Erhaltung der Gleichheit unter seinen freien self-sustaining peasants [sich selbst versorgenden Bauern] und die eigne Arbeit als die Bedingung der Fortdauer ihres Eigentums.[55]

Im Hinblick auf Distributionsweise des gesellschaftlichen Produkts im alten Athen wird generell anerkannt,[56] dass sie bei der Aneignung des ökonomischen Überschusses eine wichtige Rolle spielte. Daher wird dieses System oft als „Aneignung aufgrund der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Bürger“ definiert. Anders gesagt, die Mechanismen, mittels derer der Überschuss (meist in Form von Raub und Tribut aus unterworfenen Staaten, aber auch von Steuern, die den Bürgern selbst auferlegt wurden) eingezogen und verteilt wurde, waren im wesentlichen nicht wirtschaftlicher, sondern politischer Natur. Das bedeutet, dass der Kampf zwischen den sozialen Gruppen ebenfalls eine politische Form annahm, und zwar hauptsächlich als Konflikt zwischen den Unterstützern einer Oligarchie (den Oligarchen) und den Unterstützern der Demokratie (den Demokraten). Die Oligarchen, die von den großen Landbesitzern, den reichen Kaufleuten und Handwerkern sowie den Aristokraten unterstützt wurden, traten jederzeit für die Einschränkung politischer Rechte (wie des aktiven und passiven Wahlrechts) ein, aber auch für die Beschränkung der öffentlichen Ausgaben, die letztlich die Klassen, denen sie angehörten, stärker schädigten, da in erster Linie sie für die Finanzierung dieser Ausgaben herangezogen wurden. Die Demokraten,[57] die sich vorwiegend auf die unteren Einkommensschichten stützten (auch wenn ihre Führer im allgemeinen nicht diesen Schichten angehörten), verlangten dagegen die Erweiterung der politischen Rechte, höhere Ausgaben für öffentliche Arbeiten, die Zahlung von Löhnen für die Ausübung bürgerlicher Rechte usw.

 

Daher spielte die Möglichkeit der Bürger, an den Gewinnen und Einkünften des Staates teilzuhaben, in der Verteilung des wirtschaftlichen Überschusses und deshalb auch für den Inhalt der (im engen Sinn aufgefassten) wirtschaftlichen Demokratie selbst eine sehr wichtige Rolle. Denn je mehr Bürger die Möglichkeit hatten, an dem wirtschaftlichen Überschuss, der in die Verteilung einging, teilzuhaben, desto höher war der Grad wirtschaftlicher Demokratie. Und in der Tat waren die Bürger in mehreren Formen an der Verteilung des Geldes der Stadt beteiligt: entweder in Form von Entschädigungen (misthos) für die Ausübung ihrer bürgerlichen Rechte (Teilnahme an der Versammlung, Beteiligung am Volksgericht als Geschworener usw.) oder in der Form einer „Sozialversicherung“ für den Fall, dass Bürger aufgrund von Arbeitsunfähigkeit mittellos wurden,[58] oder schließlich in Form von Bezahlung für ihren Einsatz bei diversen öffentlichen Arbeiten. Darüber hinaus war, wie ich im folgenden zu zeigen versuche, der Prozess der fortschreitenden Vervollständigung der politischen Demokratie freier Bürger von einem parallellaufenden Prozess begleitet, in dem die wirtschaftliche Demokratie erweitert wurde. Das charakteristische Merkmal, das die Blütezeit der Demokratie Athens vor allen anderen Systemen der antiken Welt wie der nachfolgenden Zeit bis zum heutigen Tag auszeichnet, war ein bewusstes kollektives Bemühen um die beständige Ausweitung und Vertiefung der politischen Demokratie und bis zu einem gewissen Punkt auch der wirtschaftlichen Demokratie. Von diesem Standpunkt aus liegt die heutige Bedeutung der athenischen Erfahrung nicht nur darin, dass die Organisation und das Funktionieren der heutigen Gesellschaft auf der Basis der Prinzipien der direkten Demokratie - der einzigen, die echte Demokratie sicherstellen können - unter bestimmten Bedingungen möglich ist, sondern außerdem auch darin, dass sie die Unvereinbarkeit von politischer Demokratie und wirtschaftlicher Oligarchie illustriert.

 

Wir könnten die Entwicklung der athenischen politischen Demokratie mit Blick auf die Evolution der wirtschaftlichen Demokratie in folgende Perioden einteilen: erstens, die Periode vor Solon; zweitens, die Periode von Solon bis zu den Reformen des Kleisthenes; drittens, die Periode von Klei­sthenes bis Perikles; viertens, die Periode von Perikles bis zum Ende des Pelepponesischen Krieges und fünftens, die Periode des Niedergangs der athenischen Demokratie.

 

Die Periode vor dem Archontat Solons (also vor 594 v. Chr.) war durch eine beträchtliche Konzentration wirtschaftlicher und politischer Macht gekennzeichnet. Das Land gehörte einigen Großgrundbesitzern, während die armen Bauern, die es bebauten - die sogenannten „Hectemoroi“ - gezwungen waren, ein Sechstel ihrer Erzeugnisse als Pacht zu zahlen. Die Beziehung der Hectemoroi zu den Grundbesitzern war nicht einfach das Ergebnis von wirtschaftlichem Druck und Schulden, sondern brachte außerdem einen traditionellen Status gesellschaftlicher Unterlegenheit zum Ausdruck, der sich während der „dunklen Zeit“ Griechenlands (1.100 - 800 v. Chr.) entwickelt hatte, in der die Armen und Schwachen den Mächtigen im Austausch gegen deren Schutz ihre Dienste anboten. Besonderes Kennzeichen des Systems war, dass alle Hectemoroi, die ihre Pacht nicht zahlen konnten, und ganz generell sämtliche Schuldner, denen es nicht gelang, ihre Schulden zu bezahlen, ebenso wie ihre Kinder ihre Freiheit verloren. Die politische Macht war noch schwach entwickelt, und die wirkliche Macht lag bei einigen einflussreichen Familien, die über die wirtschaftliche und militärische Macht verfügten. Die geringe Anzahl politischer Ämter (neun archons, Rat des Areopags usw.) war laut einer der geläufigen Theorien Vorrecht einer erblichen herrschenden Klasse, der Adligen, während einer anderen Theorie zufolge schon vor Solon die eine oder andere Form eines Eigentumskriteriums eingeführt worden war. Unumstritten ist jedoch die Tatsache, dass das passive Wahlrecht für höhere Ämter zu dieser Zeit Monopol der höheren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schichten war.

 

Dieses System einer politischen und wirtschaftlichen Oligarchie führte zusammen mit einschneidenden wirtschaftlichen Veränderungen in Produktion und Handel (intensivere Kultivierung des Landes, Anwachsen der Exporte usw.) zu einer harten Konkurrenz zwischen Armen und Reichen, von der Solon schon Anfang des sechsten Jahrhunderts v. Chr. in seinen Gedichten sprach. Solons Reformen, insbesondere die Seisachtheia (die Streichung der Schulden), die den Reformen des Kleisthenes vorangegangen waren, schufen die wirtschaftlichen Voraussetzungen für Isonomia (Gleichheit vor dem Gesetz) und direkte Demokratie. Ich muss hier darauf hinweisen, dass es sich bei Seisachtheia nicht, wie gemeinhin behauptet wird, einfach um ein Gesetz zur Annullierung der Schulden handelte. Einer alternativen Erklärung zufolge, die sich auf die Tatsache stützt, dass Solon in seinen iamboi (Gedichten) gar nicht von Schulden spricht, beseitigte Seisachtheia die wirtschaftlichen Abhängigkeit der Hectemoroi, die damit vermutlich zu rechtmäßigen Eigentümern des Landes wurden, das sie bebauten. Ebenso wichtige Schritte zur Begrenzung der wirtschaftlichen Macht der Oligarchie waren die Einführung (zusätzlich zu den üblichen indirekten Steuern) einer stark progressiven Einkommenssteuer zur Deckung dringender Bedürfnisse und die Abwälzung der Lasten für die Ausgaben für die öffentlichen Dienste (liturgis) und für einen großen Teil der Militärausgaben auf die höher stehenden Klassen.[59]

 

Diese äußerst wichtigen Schritte in Richtung auf wirtschaftliche Demokratie waren von entsprechenden politischen Reformen begleitet. Die Volksversammlung (ecclesia), in der alle Bürger ungeachtet ihres Einkommens teilnehmen konnten, erhielt das Recht, die Führer (archons) und die Abgeordneten zu wählen (wir befassen uns hier nicht mit der umstrittenen historischen Frage, ob Solon den Rat der 400 Abgeordneten - Bule, wie er bei Aristoteles heißt - schuf),[60] außerdem das Recht zur Beurteilung der Tätigkeit der archons, was zuvor das exklusive Recht des Rats des Areopags war.[61] Die höheren Ämter der Stadt verblieben jedoch in den Händen der Elite, denn es ist zu bezweifeln, dass mehr als ein Fünfzehntel der Bürger[62] zu den pentakosiomedimnoi (Produzenten von fünfhundert Scheffel Getreide) und den Adligen gehörten, aus deren Kreis die neun archons gewählt wurden. Auch das Wahlrecht selbst war nicht universal, da nur die, die zu einer Familiengruppe/einem „Geschlecht“ (genos) gehörten, dieses Recht genossen, und viele Athener gehörten damals nicht zu einem genos.

 

Nach dem Sturz der Tyrannenherrschaft des Peisistratides (510 v. Chr.), der heute als das Ergebnis von lokalen, nicht von Klassenkonflikten betrachtet wird, und der Machtübernahme der Demokraten unter Kleisthenes nur drei Jahre nach der Vertreibung der Tyrannen wurde die Vorherrschaft der Aristokraten zugunsten einer neuen Form der Verfassung, der „Demokratie“, abgeschafft (507 v. Chr.). Damals wurden folgende wichtige institutionelle Veränderungen eingeführt:

  • Die Differenzierung der Bürger nach dem Klassenkriterium des Maßes an Besitz wurde abgeschafft und durch das Kriterium des Wohnorts ersetzt.

  • Das aktive Wahlrecht wurde universal und in Form der Geschworenengerichte wurde die Autorität der Gerichte zum Teil auf das Volk übertragen.

  • Der Rat der Fünfhundert wurde eingeführt und bekam wichtige Vorentscheidungsrechte, die die Entscheidungen der ecclesia beeinflussen konnten. Die besondere Bedeutung dieser Institution für die Demokratie ergibt sich aus der Art, wie ihre Mitglieder ausgewählt wurden. Die Bestimmung der Ratsmitglieder durch das Los für eine nur einjährige Amtsperiode waren unentbehrliche Sicherheitsventile, die die Monopolisierung des Stellvertreteramts durch Berufspolitiker verhinderten.

  • Außerdem war es nun möglich, politischer Führer per Abstimmung in die Verbannung zu schicken (Ostrazismus). Das war ein weiteres Sicherheitsventil im demokratisches Prozess, denn laut Aristoteles bestand das Ziel der neuen Institution darin, der Bevölkerung die Macht zu geben, jene auszuschalten, „die aufgrund ihres Reichtums oder eines anderen politischen Trumpfs die Vorherrschaft ausübten oder unangemessenen Einfluss ausübten“.[63]

 

Aber die athenische Demokratie hatte mit Kleisthenes noch nicht ihre Vollendung erreicht. Es dauerte noch weitere zwanzig bis dreißig Jahre, bis - 487 v. Chr. - auch für die archons (mit Ausnahme des Generalsamtes, für das spezielles Wissen und besondere Erfahrungen notwendig waren) die Wahl durch das Los eingeführt wurde und bis nach der Schlacht von Plataia 479 v. Chr. das Eigentumskriterium, das die Unterschichten von den höheren Ämtern ausschloss, abgeschafft wurde. Dann mussten allerdings noch weitere zwanzig Jahre vergehen, bis dem Areopag (dessen Mitglieder immer noch zu den beiden reichsten Klassen gehörten) seine Vorrechte entzogen und der Volksversammlung, dem Rat der Fünfhundert und den Geschworenengerichten übertragen wurden (462 v. Chr.).[64] Am Ende dieser Entwicklung hatte jeder erwachsene Bürger Athens männlichen Geschlechts das Recht, an der ecclesia teilzunehmen, und wenn er mindestens dreißig Jahre alt war, hatte er auch das Recht, hoher Beamter (archon), Gesetzgeber (nomothetes) oder Geschworener (dikastes) zu sein.[65]

 

Die Vollendung der athenischen Demokratie war mit der Ära des Perikles (461-429 v. Chr.) verbunden, in der sowohl die politische als auch die wirtschaftliche Demokratie ihren Gipfel erreichten. Die politische Demokratie entfaltete sich in beispiellosem Maß, weil gerade damals der Prozess zum Abschluss kam, der die „Polis“ autonom (insofern sie sich ihre Gesetze selbst gab), selbst-urteilend (Geschworenengerichte entschieden über jeden Streitfall) und unabhängig (die Volksversammlung traf alle wichtigen Entscheidungen) machte - und dies waren die drei Elemente, die laut Thukydides eine Stadt als frei charakterisierten. Auch die wirtschaftliche Demokratie erreichte zu dieser Zeit ihre höchste Konjunktur, da gerade damals die Entschädigung für die Ausübung der bürgerlichen Rechte eingeführt wurde (Lohn von Gerichts wegen für die Ausübung des Geschworenenamtes, Versammlungslohn für die Teilnahme an der ecclesia, Lohn für Abgeordnete, Soldaten usw.). Als Re­sultat dieser Aufwandsentschädigungen „war kein Bürger durch Armut daran gehindert, seine politischen Rechte auszuüben“.[66] Gleichzeitig wurde ein umfangreiches Programm öffentlicher Arbeiten initiiert, das nicht nur die architektonischen Meisterwerke Athens schuf, sondern auch das Einkommen der Unterklassen beträchtlich aufbesserte. Es ist sicher kein Zufall, dass die größten Errungenschaften der antiken griechischen Zivilisation gerade während der Ära des Perikles geschaffen wurden.

 

Diese Vertiefung der wirtschaftlichen Demokratie war jedoch nicht nur das Ergebnis der Entscheidungen der Volksversammlung oder der Vorschläge des Perikles. Auch ein äußerer Faktor, die Persischen Kriege, spielte eine entscheidende Rolle. Die Persischen Kriege hatten eine doppelte wirtschaftliche Auswirkung. Zum einen bewirkten die Kriege, wie Paparregopoulos notiert, angesichts der Tatsache, dass die privilegierte Position der höheren Klassen im wesentlichen auf ihrem Einkommen aus der Landwirtschaft basierte, das durch die wiederholte Zerstörung Attikas praktisch verschwunden war, dass „die Armen in dieser Hinsicht den Reichen ähnlich wurden, und die Gleichheit des geleisteten Dienstes und die (wenn auch nur zeitweise) Gleichheit im Besitz führte in diesen kritischen Jahren auf ganz natürliche Art auch zur Einführung der Gleichheit der Rechte“.[67] Zweitens gaben der neu geschlossene Delische Bund und die auf ihn zurückgehenden finanziellen Beiträge der Verbündeten dem öffentlichen Haushalt Athens das finanzielle Potential, für den Unterhalt von mehr als 20.000 Bürgern zu sorgen und diese für die von ihnen geleisteten politischen und militärischen Dienste zu entschädigen.[68]

 

An dieser Stelle sollte die große Bedeutung der Kompensation der Bürger für die Ausübung ihrer bürgerlichen Rechte besonders unterstrichen werden. Die Etablierung einer gleich wie gearteten demokratischen Institution in der politischen Sphäre bleibt zwangläufig folgenlos, wenn eine große Zahl der betroffenen Bürger objektiv nicht in der ökonomischen Lage sind, die Zeit aufzubringen, die für eine effektive Teilnahme an den demokratischen Prozeduren nötig ist. Denn Zeit ist immer eine wichtige Quelle gesellschaftlicher Macht gewesen. Im demokratischen Athen des Kleisthenes konnte theoretisch jeder ins höchste Amt gewählt werden, aber de facto waren die Unterschichten ausgeschlossen. Paparregopoulos weist darauf hin, dass nicht einmal die Wahl durch das Los diesen Schichten half, denn

es wurden nicht viele Arme ausgewählt, da sie aufgrund ihrer Tätigkeit in der Kriegsmarine oder im Handel abwesend waren und da die wichtigsten staatlichen Ämter, besonders die militärischen, nun wie zuvor durch Ratschluss an die Fähigsten vergeben wurden, die natürlich meist nicht den ärmeren Schichten angehörten. Außerdem gingen [die Armen] nicht regelmäßig zur Volksversammlung und den Gerichten der Heliasten, weil sie deswegen nicht die Arbeit, die sie ernährte, unterbrechen konnten.[69]

Und natürlich sollten wir nicht vergessen, dass die Teilnahme an der Volksversammlung zwar wichtig war, aber dass angesichts der Tatsache, dass die ecclesia sich nur vierzig Mal im Jahr versammelte, ein Mitglied des Rates der 500 im Prozess der Entscheidungsfindung ein beträchtliches Gewicht besaß (auch wenn, wie Hansen bemerkt, alle Zeugnisse darauf hindeuten, dass „die Politik in Athen in Wirklichkeit eher von der Versammlung gemacht wurde als vom Rat (durch Vorwegnahme der Entscheidungen der Versammlung)“.[70]

 

Was die Bedeutung der freien Zeit für das Funktionieren der Demokratie angeht, spielte die Sklaverei eine doppelte Rolle im Hinblick auf die Reproduktion der Demokratie. Sie spielte in der Tat eine positive Rolle, weil sie (wie die Marxisten glauben) bedeutend, wenn auch nicht entscheidend zur Schaffung des wirtschaftlichen Überschusses beitrug, der für das Überleben der Gesellschaft insgesamt notwendig war. Außerdem trug die Sklaverei genau wie die patriarchalischen Beziehungen im privaten Haushalt in hohem Maß dazu bei, dass die männlichen Bürger Athens genügend Zeit zur Ausübung ihrer bürgerlichen Rechte hatten. Aber der Sklaverei kam auch eine wichtige negative Rolle für die Reproduktion der Demokratie zu. Da der Besitz von Sklaven von der Einkommens- und Vermögensverteilung abhängt, hatten die Reichen, die mehr Sklaven besaßen als die Armen, viel mehr Zeit zur Ausübung ihrer Bürgerrechte zur Verfügung. Es spricht daher einiges dafür, dass die Sklaverei einen deutlich negativen Nettoeffekt auf die Reproduktion der Demokratie hatte - eine Tatsache, die auch Perikles klar war, der das System der Entschädigung für die Angestellten des öffentlichen Dienstes gerade deshalb einführte, um ein notwendiges Gegengewicht gegen die ungleiche Verteilung der freien Zeit zu schaffen.

 

In der Tat ging es bei dem ganzen Konflikt zwischen Perikles und (seinem konservativen politischen Rivalen) Cimon um die Voraussetzungen für die politische Demokratie. Cimon unterstützte Positionen ähnlich denen, für die die Anhänger der heutigen liberalen „Demokratie“ eintreten. So war für Cimon die gesetzliche Festlegung der demokratischen Prozeduren ausreichend, und es war Sache jedes einzelnen Bürgers, sie angemessen mittels seiner Fähigkeiten und seiner Arbeit zu nutzen. Im Gegensatz dazu sah Perikles deutlich, dass politische Rechte rein formalen Charakter haben, solange sie nicht durch soziale und wirtschaftliche Rechte ergänzt werden. Um die wirtschaftliche Ungleichheit unter den Bürgern zu vermindern und so eine Voraussetzung für die politische Gleichheit zu schaffen, führte Perikles daher das System der Entschädigung ein. Dies machte jedoch eine noch stärkere Beschränkung der Zugehörigkeit zur Bürgerschaft (neben den Frauen und den Sklaven wurden nun auch die Fremden von der Bürgerschaft ausgeschlossen) und die Vergrößerung der Steuereinkünfte erforderlich, indem, wie wir heute sagen würden, die Steuerbasis verbreitert wurde. Die Etablierung der Hegemonie Athens über andere griechische Städte zeitigte genau dieses Ergebnis.

 

Die Grundlagen dieser Demokratie waren jedoch nicht stabil, da die wirtschaftlichen Faktoren, welche die politische Demokratie des Perikles stützten, rasch verschwanden.

  • Die relative wirtschaftliche Gleichheit, die durch die Persischen Kriege zustande kam, war nur von sehr kurzer Dauer. Die auf die Persischen Kriege folgende Handelsexpansion führte zu einer Konzentration der wirtschaftlichen Macht und zu größerer Ungleichheit in der Verteilung von Einkommen und Vermögen. Wie Paparregopoulos hervorhebt

    reichten die Kompensationen aus den Mitteln des öffentlichen Haushalts zur Ernährung der Mittellosen mehr oder weniger aus, aber diese Menschen blieben immer arm, während die reichsten Athener in diesen Jahren noch wesentlich reicher wurden; so kam es zu einer sehr großen Ungleichheit in der Verteilung des Reichtums, die dazu führte, dass die ärmeren Bürger häufig zu blinden Werkzeugen der Reicheren wurden.[71]

  • Die ungleichen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen, die das hegemoniale Athen seinen Verbündeten aufzwang, führten zum Peleponnesischen Krieg (431- 404 v. Chr.)[72] und zum Ende der Hegemonie Athens, was schwerwiegende Folgen für den öffentlichen Haushalt hatte. Mit dem Ende des Krieges und dem Zusammenbruch der athenischen Hegemonie versiegte allmählich auch die bedeutendste Finanzquelle der wirtschaftlichen Demokratie. Ohne gravierende Einschnitte bei den Militärausgaben reichten die öffentlichen Einnahmen nicht mehr zur Finanzierung der beiden wichtigsten Arten von Ausgaben aus, die Perikles zur Erhöhung des Einkommens der Unterschichten tätigte, nämlich zum einen der Entsprechung zu dem, was wir heute als öffentliche Investitionen à la Keynes bezeichnen würden, zum anderen der öffentlich bezahlten Löhne usw. Das führte unvermeidlich zu einer Schwächung der militärischen Macht der Stadt (wozu der wachsende Einsatz von Söldnern in beträchtlichem Maß beitrug), die schließlich das Ende der Demokratie selbst herbeiführte, nachdem die Athener von Philipp, dem Vater Alexander des Großen, in der Schlacht von Chaeronea besiegt wurden (die 338 v. Chr. stattfand, während die Demokratie formal erst 332 v. Chr. abgeschafft wurde). Bemerkens­werterweise wurde der Niedergang Athens auch durch die zweite maritime Hegemonie Athens nach der Schlacht von Mantineia (362 v. Chr.) nicht aufgehalten, obwohl (oder vielleicht auch weil) diese Hegemonie einen demokratischeren Charakter als die erste Hegemonie hatte.

 

Und mit der wachsenden wirtschaftlichen Ungleichheit im Inneren und der sinkenden Fähigkeit, fremden Gebieten weitere Steuern zur Finanzierung der Demokratie Athens aufzuzwingen, verschwanden die materiellen Bedingungen, auf denen die wirtschaftliche Demokratie basierte, innerhalb kürzester Zeit. In diesem Stadium hätte nur die Verwandlung der partiellen athenischen Demokratie in eine umfassende Demokratie die Demokratie selbst retten können: die Einführung einer vollständigen politischen Demokratie, die sämtliche Bewohner der Stadt (freie Bürger, Frauen, Sklaven) mit einbezogen, und eine echte wirtschaftliche Demokratie, die die wirtschaftlichen Ungleichheiten abgeschafft hätte.

 

Eine solche Demokratie hätte sich finanziell nicht wie zuvor auf einen Überschuss gestützt, der durch Ungleichheit (im Innern und Äußern) zustande kam, sondern auf einen expandierenden wirtschaftlichen Überschuss im Innern. Man könnte vermuten, dass gerade die Beseitigung der wirtschaftlichen Ungleichheiten generell, besonders aber der Sklaverei eine wichtige Auswirkung auf die Vergrößerung dieses Überschusses im Inneren hätte haben können. Man kann getrost davon ausgehen, dass die Produktivität der Sklaven, die mehr als die Hälfte der Arbeitskräfte stellten, sehr stark gestiegen wäre, wenn man ihnen volle Bürgerrechte eingeräumt hätte. Außerdem hatte die Sklaverei eine entfremdende Wirkung nicht nur auf die Sklaven, sondern auch auf deren Herren, was ebenfalls negative Auswirkungen auf ihre Produktivität hatte. So sind die Historiker einhellig der Meinung, dass die wirtschaftliche Ungleichheit und die Sklaverei in den späteren Stadien der Demokratie Athens zur materiellen Basis der Verwandlung produktiver Bürger Athens in parasitäre „Diener der Öffentlichkeit“ geworden waren.[73] Daher führte die Entschädigung für öffentliche Dienste, die ursprünglich die ungleiche Verteilung der freien Zeit (ein elementares Symptom der wirtschaftlichen Ungleichheit) ausgleichen sollte, zur Unterminierung der produktiven Aktivität selbst: Finanziell schwächer gestellte Bürger wurden zu öffentlichen Bediensteten gemacht, die aus dem Überschuss bezahlt wurden, den die unterworfenen Städte und die Sklaven produzierten. Eine ähnlich positive Wirkung hätte sich aus der vollen Integration der Frauen in die Körperschaft der Bürger ergeben.

 

Dass die Demokratie Athens am Ende scheiterte, war nicht, wie von ihren Kritikern oft behauptet wird, den unausweichlichen, der Demokratie an sich inhärenten Widersprüchen geschuldet, sondern ganz im Gegenteil der Tatsache, dass die athenische Demokratie nie zu einer umfassenden Demokratie heranreifte. Das lässt sich nicht wirklich durch den simplen Verweis auf die noch unreifen „objektiven“ Bedingungen, die niedrige Stufe der Entwicklung der Produktivkräfte und ähnliches erklären (auch wenn diese Faktoren sehr wichtig sein mögen), denn in vielen Regionen im ganzen Mittelmeerraum und nicht etwa nur im restlichen Griechenland herrschten damals dieselben Bedingungen. Aber die Demokratie blühte in erster Linie in Athen. Umgekehrt verhinderte die sehr viel niedrigere Entwicklungsstufe der Produktivkräfte bei den Gemeinschaften der Ureinwohner Amerikas nicht die Entstehung von Formen ökonomischer Demokratie (im engeren Sinn), die höher entwickelt waren als die Athens und jedem Mitglied der Gemeinschaft wirtschaftliche Ressourcen verfügbar machten, während die „Dinge den Mitgliedern und den Familien einer Gemeinschaft zur Verfügung standen, weil sie gebraucht wurden, nicht weil sie jemandem gehörten oder durch die Arbeit ihres Eigentümers hergestellt worden waren.“[74]

 

Die liberale Konzeption der Demokratie

 

Die liberale Konzeption der Demokratie basiert auf der negativen Konzeption von Freiheit und einer dieser entsprechenden Konzeption der Menschenrechte. Aus diesen Definitionen und aus einer Weltsicht, welche die menschliche Natur als atomistisch und die Menschen als rationale Agenten ansieht, deren Existenz und Interessen ontologisch gesehen Vorrang vor der Gesellschaft haben, ergibt sich eine Reihe von Prinzipien hinsichtlich Verfassung der Gesellschaft, nämlich politischer Egalitarismus, die Freiheit der Bürger, im Wettbewerb miteinander ihre Fähigkeiten auf wirtschaftlicher Ebene zu verwirklichen, und die Trennung des privaten Bereichs der Freiheit vom öffentlichen Bereich.

 

Aus diesen liberalen Prinzipien der Verfassung der Gesellschaft ergibt sich natürlich eine Form von Demokratie, in welcher der Staat von der Wirtschaft und vom Markt getrennt ist. Die liberalen Philosophen gingen nicht nur von einer Trennung des Staatsapparates von der Gesellschaft aus, sondern betrachteten die Demokratie gerade als Mechanismus, der die Kluft zwischen Staat und Gesellschaft überbrücken sollte. Diese überbrückende Rolle sollte von einer repräsentativen „Demokratie“ gespielt werden, einem System, in dem mehrere politische Parteien den widerstreitenden Interessen und Wertsystemen ein adäquates Forum bieten sollten. Es kann daher kaum verwundern, dass keiner der Gründer des klassischen Liberalismus für eine Demokratie im Sinn direkter oder gar umfassender Demokratie eintrat. Tatsächlich war genau das Gegenteil der Fall. So standen beispielsweise die amerikanischen Gründerväter Madison und Jefferson der Demokratie gerade deshalb skeptisch gegenüber, weil ihr die vom Griechischen herstammende Konnotation der direkten Herrschaft anhaftete. Deshalb bezeichneten sie das amerikanische System lieber als republikanisch, da „man dieses Wort als passender für die ausgewogene Verfassung von 1787 betrachtete als den Begriff „demokratisch“, der mit der Herrschaft der Unterklassen konnotiert war“.[75]

 

Aber wie schon Hannah Arendt hervorhob, reproduziert sich auch in einer repräsentativen Demokratie die uralte Unterscheidung zwischen Herrscher und Beherrschten: „Wieder wird das Volk aus dem Bereich der Öffentlichkeit ausgeschlossen, wieder sind die öffentlichen Angelegenheiten zum Privileg der wenigen geworden ... die Folge ... ist, dass das Volk dazu verdammt ist, entweder ‚in Lethargie zu versinken, welcher der Tod der öffentlichen Freiheit auf dem Fuß folgt’, oder ‚den Geist des Widerstandes’ gegen jede von ihnen gewählte Staatsmacht zu bewahren, da die einzig ihnen verbleibende wirkliche Macht die ‚in Reserve gehaltene Macht der Revolution’ ist.“[76]

 

In diesem Licht könnte man zu einem anderen Verständnis der Motive gelangen, aus denen die Liberalen die repräsentative „Demokratie“ befürworten. Statt als Brücke zwischen Staat und Gesellschaft könnten wir die repräsentative Demokratie als eine Form von etatistischer Demokratie betrachten, deren Zweck in erster Linie darin besteht, die große Mehrheit der Bevölkerung von der politischen Macht auszuschließen. So schreibt John Dunne:

Es ist wichtig, sich darüber klar zu werden, dass der moderne Staat, und an erster Stelle stehen hier Jean Bodin und Thomas Hobbes, äußerst sorgfältig und zielstrebig zu dem ausdrücklichen Zweck konzipiert wurde, jedem Segment der Bevölkerung, jedem Volk sowohl die Fähigkeit als auch das Recht zu verweigern, unabhängig von seinem Souverän oder gegen ihn gemeinsam und im eigenen Interesse zu handeln. Kernpunkt des Konzepts war die Negierung der bloßen Möglichkeit, dass irgendein demos (oder gar einer im demographischen Maßstab einer europäischen territorialen Monarchie) zum echten politischen Agenten werden, überhaupt handeln, und ganz besonders gespeist durch eine ausreichend kontinuierliche Identität und praktischer Kohärenz handeln könnte, die ihn dazu befähigen würde, sich selbst zu regieren. ... Die Idee des modernen Staates wurde eigens zu dem Zweck erfunden, die mögliche Kohärenz demokratischer Ansprüche auf die Regierung oder auch nur authentisches politisches Handeln zu verwerfen. ... Die repräsentative Demokratie ist eine zum Schutz des modernen Staates entschärfte Demokratie.[77]

Es überrascht also nicht, dass Adam Smith, der Vater des wirtschaftlichen Liberalismus, eigens unterstrich, dass die Verteidigung der Reichen gegen die Armen die Hauptaufgabe der Regierung sei - eine Aufgabe, die, wie John Dunne bemerkt, „notwendigerweise weniger verlässlich erfüllt wird, wo die Armen bestimmen, wer regieren soll, und erst recht, wo die Armen wie in Athen weitgehend selbst die Regierung sind“.[78]

Fassen wir also zusammen: Die liberale Konzeption der Demokratie, deren Verwirklichung unvermeidlich zur Konzentration politischer Macht in den Händen der politischen Elite und zu politischer Oligarchie und Ungleichheit führt, ist darüber hinaus mit der Konzentration der wirtschaftlichen Macht in den Händen einer wirtschaftlichen Elite und der wirtschaftlichen Oligarchie und Ungleichheit, wie der Markt sie hervorbringt, vereinbar. Auch die liberale Konzeption von Freiheit steht weder zu politischer noch zu ökonomischer Oligarchie in Widerspruch.

Die marxistisch-leninistische Konzeption der Demokratie

Der Ausgangspunkt des sozialistischen Konzepts von Demokratie ist eine Kritik der liberalen Konzeption. Sie basiert auf der Tatsache, dass die liberale Konzeption von der Trennung des politischen vom wirtschaftlichen Bereich ausgeht und so die enormen Ungleichheiten schützt und legitimiert, wie sie die Marktwirtschaft unvermeidlich hervorbringt. Während die liberale Demokratie angeblich zumindest eine gleichberechtigte Verteilung der politischen Macht sichert (was sie, wie wir gesehen haben, in Wirklichkeit ganz sicher nicht tut), lässt sie die entscheidende Frage der Verteilung der wirtschaftlichen Macht außer Acht. Von daher stellt sich die Frage der wirtschaftlichen Demokratie, das heißt, eines Zusammenspiels von Institutionen, die jedem Bürger ein gleiches Mitspracherecht bei der ökonomischen Entscheidungsfindung sichern würden.

Die traditionelle Antwort der Sozialisten auf diese Frage lässt sich im großen und ganzen in die sozialdemokratische und in die marxistisch-leninistische Konzeption einteilen. Die sozialdemokratische Konzeption ist alles in allem eine Variante der liberalen Konzeption. Anders gesagt, Sozialdemokratie besteht aus einem Element „liberaler Demokratie“ im Sinne einer etatistischen und repräsentativen Demokratie, die auf der Marktwirtschaft basiert, und einem Element „wirtschaftlicher Demokratie“ im Sinne eines starken Wohlfahrtsstaats und eines staatlichen Engagements für Vollbeschäftigung. Wie wir jedoch in Kapitel 2 gesehen haben, haben sozialdemokratischen Parteien überall auf der Welt das Element der „wirtschaftlichen Demokratie“ aus ihrem Demokratiekonzept gestrichen und damit die sozialdemokratische Konzeption von Demokratie aufgegeben. Damit ist die sozialdemokratische Konzeption von Demokratie im Rahmen dessen, was ich als den gegenwärtigen „neoliberalen Konsens“ bezeichne, heute von der liberalen Konzeption praktisch nicht mehr zu unterscheiden.

Lassen wir daher die traditionelle sozialdemokratische Konzeption außer acht - moderne Versionen einer „radikalen“ Demokratie werden im näch­sten Kapitel diskutiert - und untersuchen wir die marxistisch-leninistische Konzeption, die für die Reste der marxistischen Linken immer noch relevant ist. Ich behaupte, dass es sich bei dieser Konzeption entgegen dem ersten Anschein ganz klar um ein etatistisches Konzept von Demokratie handelt. In dieser Konzeption wird für die gesamte historische Periode, die den Kapitalismus vom Kommunismus trennt - also für die ganze als „Reich der Notwendigkeit“ geltende Periode, in der die Güterknappheit zu Klassenantagonismen führt, die Klassendiktaturen der einen oder anderen Art unvermeidlich machen - zwischen Demokratie und Staat kein Unterschied gemacht. Nach dieser Auffassung ersetzt der Sozialismus schlicht und einfach die Diktatur der einen Klasse, der Bourgeoisie, durch die einer anderen, nämlich des Proletariats. So heißt es bei Marx:

Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umgestaltung der einen in die andre. Dem entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.[79]

Und Lenin insistiert, „dass die Demokratie auch ein Staat ist und dass folglich auch die Demokratie verschwinden wird, sobald der Staat verschwindet. Den bürgerlichen Staat kann nur die Revolution ‚aufheben’. Der Staat überhaupt, d.h. die vollkommenste Demokratie, kann nur ‚absterben’.“[80] Und er führt weiter aus, dass der Staat (und die Demokratie) erst dann absterben wird, wenn

die Menschen sich so an das Befolgen der Grundregeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens gewöhnt haben werden und ihre Arbeit so produktiv sein wird, dass sie freiwillig nach ihren Fähigkeiten arbeiten werden. ... Die Verteilung der Produkte wird dann von der Gesellschaft keine Normierung der jedem einzelnen zukommenden Menge erfordern; jeder wird frei „nach seinen Bedürfnissen“ nehmen.[81] ... Von dem Zeitpunkt an, da alle Mitglieder der Gesellschaft oder wenigstens ihre übergroße Mehrheit selbst gelernt haben, den Staat zu regieren, ... beginnt die Notwendigkeit jeglichen Regierens überhaupt zu schwinden. ... Denn wenn alle gelernt haben werden, selbständig die gesellschaftliche Produktion zu leiten und sie in der Tat leiten werden, wenn sie selbständig die Rechnungsführung und die Kontrolle über Müßiggänger [usw.]... verwirklichen, dann wird die Notwendigkeit zur Einhaltung der unkomplizierten Grundregeln für jedes Zusammenleben von Menschen sehr bald zur Gewohnheit werden.[82]

Damit ist klar, dass im Rahmen dieser Weltanschauung eine nicht-etatistische Konzeption der Demokratie gar nicht vorstellbar ist, weder in der Übergangsperiode, die zum Kommunismus führt, noch in der höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft: in der Übergangsperiode, weil das Reich der Notwendigkeit eine staatliche Form der Demokratie erfordert, in der nicht alle Bürger Anteil an der politischen und wirtschaftlichen Macht haben, sondern nur die Mitglieder des Proletariats; in der kommunistischen Phase, weil im Reich der Freiheit überhaupt keine Form der Demokratie mehr notwendig sein wird, da gar keine wichtigen Entscheidungen mehr getroffen werden müssen! Auf der wirtschaftlichen Ebene werden Knappheit und Arbeitsteilung dann bereits verschwunden sein, weshalb keine bedeutenden Entscheidungen im Hinblick auf die Allokation von Ressourcen mehr getroffen werden müssen. Und auf politischer Ebene wird die Verwaltung von Sachen an die Stelle der Verwaltung von Menschen getreten sein, weshalb auch keine bedeutenden politischen Entscheidungen mehr notwendig sind.

Allerdings setzt die marxistische Abschaffung der Knappheit eine objektive Definition von „Bedürfnissen“ voraus, die weder möglich, noch - von einem demokratischen Standpunkt aus - wünschenswert ist. Sie ist nicht möglich, weil zwar richtig sein mag, dass die menschlichen Grundbedürfnisse endlich und unabhängig von Zeit und Ort sind, dies aber für die Mittel ihrer Befriedigung (die Art und Weise, auf welche diese Bedürfnisse befriedigt werden) nicht gilt, und erst recht nicht für die Bedürfnisse, die über die Grundbedürfnisse hinausgehen. Sie ist nicht wünschenswert, weil ein wesentliches Element der Freiheit in einer demokratischen Gesellschaft die Freiheit in bezug auf die Art und Weise der Bedürfnisbildung und -befriedigung ist. So schreibt Bookchin, der im Gegensatz zu Marx eine subjektive Definition von Bedürfnissen und des Endes des Mangels befürwortet:

In einer wahrhaft freien Gesellschaft jedoch würden sich die Bedürfnisse aufgrund von Bewusstsein und Wahl bilden, nicht einfach durch die Umwelt und die zur Verfügung stehenden Werkzeuge ... Die Problem von Bedürfnis und Mangel muss, kurz gesagt, als ein Problem von Selektivität gesehen werden - als ein Problem der Wahl ... [In den Begriff der] Mangelfreiheit ... geht die Vorstellung ein, dass die Individuen die materiellen Möglichkeiten zur Wahl dessen haben, was sie brauchen - ihnen nicht nur genügend Güter zur Verfügung stehen, unter denen sie wählen können, sondern dass auch die Arbeit, die sie dafür verrichten, sich qualitativ und quantitativ verändert.[83]

Demnach ist das auf einer angeblich objektiven Definition von Bedürfnissen und Mangel beruhende kommunistische Stadium des Überflusses in Wirklichkeit ein mythischer Zustand, und der Verweis darauf könnte leicht zur Rechtfertigung der unbegrenzten Aufrechterhaltung staatlicher Macht und von Machtbeziehungen und -strukturen generell genutzt werden, eine Möglichkeit, die auch tatsächlich eingetreten ist. Wir sollten daher in der Problemstellung des demokratischen Projekts unbedingt mit der Aneinanderkoppelung von Überfluss und Freiheit Schluss machen. Die Abschaffung des Mangels und dementsprechend auch der Arbeitsteilung ist weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für Demokratie. Daher sollte der Aufstieg des Menschen vom Reich der Notwendigkeit ins Reich der Freiheit vom wirtschaftlichen Prozess entkoppelt werden. Und dennoch hat man seit Aristoteles über Locke und Marx bis hin zu Arendt die Unterscheidung zwischen dem „Reich der Notwendigkeit“ (zu dem die Natur gehört) und dem „Reich der Freiheit“ als grundlegend betrachtet. Während diese Unterscheidung als konzeptuelles Werkzeug der Klassifizierung menschlicher Tätigkeiten nützlich sein kann, gibt es jedoch keinen Grund zu der Annahme, dass diese beiden „Reiche“ sich in der gesell­schaftlichen Realität gegenseitig ausschließen. Es ist in der Geschichte des öfteren vorgekommen, dass sich Freiheit unter Bedingungen, die man dem „Reich der Notwendigkeit“ zurechnen würde, in diesem oder jenem Maß behauptet hat. Sobald wir die beiden Bereiche nicht mehr als einander ausschließend behandeln, gibt es außerdem keinerlei Rechtfertigung mehr für den Versuch einer Beherrschung der Natur (der in der marxistischen Wachstumsideologie eine wichtige Rolle spielt), um in das Reich der Freiheit einzutreten.

Aus all dem folgt, dass es keine materiellen Vorbedingungen für Freiheit gibt. Der Eintritt ins Reich der Freiheit hängt nicht von irgendwelchen „objektiven“ Faktoren wie dem Eintreffen eines mythischen Zustands des materiellen Überflusses ab. Das Entwicklungsstadium der Produktivkräfte, das erforderlich wäre, um für die gesamte Erdbevölkerung materiellen Überfluss zu schaffen, lässt es zumindest zweifelhaft scheinen, dass ein solches Stadium ohne gravierende Auswirkungen auf die Umwelt erreicht werden könnte - es sei denn, wir definieren „materiellen Überfluss“ demokratisch (und nicht „objektiv“) auf eine Art, die mit dem ökologischen Gleichgewicht vereinbar ist. Aus demselben Grund hängt der Eintritt in das Reich der Freiheit nicht, wie einige Tiefenökologen und andere spiritualistische Bewegungen meinen, von einer massiven Veränderung des Bewusstseins durch Akzeptanz irgendwelcher spiritualistischen Dogmen ab. Daher stellen weder Kapitalismus noch Sozialismus „objektive“, noch der Glaube an irgendwelche spiritualistischen Dogmen „subjektive“ historische Vorbedingungen für den Eintritt in das Reich der Freiheit dar.

Die Konzeptionen der „radikalen“ Demokratie

In den letzten zehn Jahren sind, besonders seit dem Zusammenbruch des „real-existierenden Sozialismus“, in Kreisen der Staatssozialisten (Post-Marxisten, Neo-Marxisten, Ex-Marxisten et al.) mehrere Varianten dessen sehr populär gewesen, was häufig als „radikale“ Demokratie bezeichnet wird. All diesen Herangehensweisen an „radikale“ Demokratie ist gemeinsam, dass sie von dem gegenwärtig bestehenden, durch die Marktwirtschaft und die liberale Demokratie abgesteckten institutionellen Rahmen ausgehen und von daher diverse Kombinationen des Marktes mit Formen gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln sowie einer „Demokratisierung“ des Staates vorschlagen.

So hat die gegenwärtige ideologische Hegemonie des Liberalismus zu einer Situation geführt, in der viele „Sozialisten“ Sozialismus mit einer Erweiterung der (liberalen repräsentativen) Demokratie gleichsetzen statt mit der Emanzipation der Arbeiterklasse,[84] und ihre Anstrengungen auf diverse Theorien konzentrieren, nach denen der Sozialismus die Erfüllung und nicht die Negation des Liberalismus ist. Ein typisches Beispiel für diesen Trend ist Norberto Bobbio, der sich die negative Definition von Freiheit als „Freiheit von“ zu eigen macht und die liberale Demokratie als „die einzig mögliche Form einer wirksamen Demokratie“ charakterisiert, die die Bürger vor Übergriffen des Staates schützen kann.[85] Dabei attackiert Bobbio aus den gängigen Gründen den „Fetisch“ der direkten Demokratie, also zum einen wegen der Frage der Größenordnung (wobei er die Vorschläge der Vertreter des Föderalismus ignoriert), und zum zweiten aufgrund der Erfahrungen der Studentenbewegung (wobei er die Tatsache ignoriert, dass Demokratie nicht einfach eine bestimmte Prozedur ist, sondern eine Form der sozialen Organisation). Daher ist das, was Bobbio und mit ihm Milliband[86] und andere Autoren derselben ideologischen Ausrichtung vorschlagen, eine Form der wirtschaftlichen Demokratie, die der Vervollständigung der liberalen Demokratie dienen soll. Damit versuchen sie letztlich, den Platz der Sozialdemokratie einzunehmen, den die Sozialdemokraten verlassen haben, seitdem sie sich der Rechten zugesellt und sich dem neoliberalen Konsens angeschlossen haben.

Gleichzeitig propagiert die Habermas-Schule inzwischen ein „prozedurales“ Modell der Demokratie als dritten Weg zwischen dem liberalen Modell und „einer kommunitaristischen Interpretation des republikanischen Modells“. So unterstreicht Habermas in Abgrenzung seines Demokratiemodells von einem von ihm als „staatszentriert“ bezeichneten „Politikverständnis“, dem seiner Meinung nach sowohl das liberale als auch das republikanische Modell verhaftet sind, dass nach der Diskurstheorie der Erfolg deliberativer Politik „nicht von einer kollektiv handelnden Bürgerschaft, sondern von der Institutionalisierung der entsprechenden Verfahrensweisen und Kommunikationsbedingungen“ abhängt. Sein Modell ist das einer „dezentrierten Demokratie“, das heißt, einer Demokratie, die auf einer Zivilgesellschaft basiert, die „die soziale Basis für autonome öffentliche Sphären liefert, die weder mit dem wirtschaftlichen System noch mit der Verwaltung gleichzusetzen sind“.[87]

Zum einen verwandelt sich bei Habermas - wie Castoriadis[88] zurecht bemerkt - die Demokratie aus einem System in eine Ansammlung von Prozeduren. Aber davon abgesehen ist sie auch völlig ohnmächtig gegenüber den gegenwärtigen Tendenzen der Marktwirtschaft und der Bürokratisierung der heutigen „Politik“. So ignoriert Habermas die Tatsache, dass die heutige internationalisierte Marktwirtschaft sämtliche gegenüber den öffentlichen Sphären des Marktes „autonomen“ Gruppen (Kooperativen etc.) mit Leichtigkeit marginalisieren kann - solange die Schaffung dieser Gruppen nicht Teil eines umfassenden politischen Programms ist, das auf eine neue Gesellschaft abzielt. Ebenso wenig zieht er in Betracht, dass der Prozess der Vermarktwirtschaftlichung (Deregulierung der Märkte usw.) selbst auf politischer Ebene die Möglichkeit vom Staat unabhängiger öffentlicher Sphären immer mehr einschränkt, da dieser Prozess keineswegs die „Zivilgesellschaft“ fördert, sondern die Eliten, die die tatsächliche Kontrolle über die Produktionsmittel besitzen (man denke hier nur an das gegenwärtige Sterben der Gewerkschaftsbewegung, die sinkende Macht der örtlichen Behörden und Institutionen usw.).

Ähnliche Argumente können gegen die verschiedenen Versionen der „rot-grü­nen“ Demokratie vorgebracht werden, wie sie die marxistische ökologische Linke vorschlägt. Man könnte hier die Ansichten James O’Connors erwähnen, der davon spricht, Lokales und Zentrales, Spontaneität und Planung, exklusive und inklusive kulturelle Identitäten, industrielle und soziale Arbeit „aufzuheben“[89]; oder auch John Dryzek, der die Notwendigkeit von „Demokratie auf allen nur denkbaren Ebenen“ hervorhebt: „in den autonomen öffentlichen Sphären wie im Fall der neuen sozialen Bewegungen, an den Grenzen des Staates, wo Legitimität durch diskursives Vorgehen angestrebt wird, und sogar innerhalb des Staates, z.B. in Form einer Abschätzung des Einflusses solcher Bewegungen.“[90]

Andere sprechen von einem Prozess der Demokratie statt von einer Ansammlung von Prozeduren. So unterscheidet Chantal Mouffe ihre Version „radikaler“ Demokratie von jener der Habermas-Anhänger, indem sie postuliert, eine endgültige Verwirklichung der Demokratie sei aufgrund „der unauflöslichen Spannung zwischen dem Prinzip der Gleichheit und dem der Freiheit“ unmöglich.[91] Die Autorin sieht heute „radikale“ Demokratie als die einzige Alternative und sagt explizit, dass „aus einer solche Perspektive nicht wie bei der traditionellen Idee der Revolution die Ablehnung der liberalen Demokratie und ihre Ersetzung durch eine vollkommen neue Form der Gesellschaft folgt, sondern eine Radikalisierung der modernen demokratischen Tradition.“[92] Außerdem antwortet Mouffe auf den möglichen Einwand, eine Strategie der Demokratisierung des Staates werde durch die Marktwirtschaft äußerst stark eingeschränkt, mit der Feststellung, dass „politische und wirtschaftliche Liberalisierung voneinander unterschieden und dann getrennt behandelt werden müssen“.[93] Mouffes Auffassung von „radikaler“ Demokratie lässt sich vielleicht am besten durch folgendes Zitat charakterisieren:

Die Unterscheidung zwischen Privatem (individuelle Freiheit) und Öffentlichem (res publica) wird ebenso beibehalten wie die zwischen Individuum und Bürger, aber diese Unterscheidungen entsprechen nicht gesonderten, voneinander getrennten Sphären ... Beide Identitäten existieren in einer ständigen, niemals auflösbaren Spannung zueinander. Aber dabei handelt es sich genau um die Spannung zwischen Freiheit und Gleichheit, die das Kennzeichen der modernen Demokratie ist. Sie ist die innerste Seele eines solchen Systems, und jeder Versuch, eine perfekte Harmonie herbeizuführen, eine „wahre“ Demokratie zu verwirklichen, kann nur zu seiner Zerstörung führen. Deshalb muss ein Projekt einer radikalen und pluralen Demokratie anerkennen, dass eine vollständige Verwirklichung der Demokratie und die endgültige Realisierung der politischen Gemeinschaft unmöglich ist. Sein Ziel ist die Nutzbarmachung der symbolischen Ressourcen der liberalen demokratischen Tradition, um für die Vertiefung der demokratischen Revolution zu kämpfen, im Wissen, dass es sich dabei um einen niemals endenden Prozess handelt.[94]

Mouffes „radikale“ Demokratie ist ganz offensichtlich ein weiterer Versuch zur Versöhnung der Autonomie des Individuums mit dem Liberalismus. So trennt Mouffe, ähnlich wie L. Susan Brown (die, wie wir bereits gesehen haben, auch den existentiellen vom instrumentellen Liberalismus trennt), den politischen vom wirtschaftlichen Liberalismus. Aber die Tatsache, dass der politische und der wirtschaftliche Liberalismus nie voneinander getrennt werden konnten, ist kein historischer Zufall. Die Vermarktwirtschaftlichung der Ökonomie, das heißt, die Beseitigung sozialer Kontrollen über den Markt, im Lauf der letzten beiden Jahrhunderte basierte immer auf dem Ideal eines (von staatlichen Kontrollen und Einschränkungen) „freien“ Individuums. Dementsprechend stützt sich Mouffes Version von „radikaler“ Demokratie auf eine negative Konzeption von Freiheit und eine individualistische Konzeption von Autonomie, die als von kollektiver Autonomie getrennt betrachtet wird. Indem sie die Tatsache, dass die Demokratie in der Tat ein Prozess ist (in dem Sinn, dass es immer Spaltungen unter den Bürgern geben wird, die auch in Zukunft eine Vertiefung jedweder institutionalisierten Demokratie nötig machen werden), mit der Bedeutung des Konzepts „Demokratie“ selbst verwechselt, definiert die Autorin außerdem radikale Demokratie letztlich als „Ausdehnung und Vertiefung“ der gegenwärtigen (flugs zur Demokratie umgetauften) „liberalen Oligarchie“ statt über die institutionellen Voraussetzungen von Demokratie. Schließlich kommt die Autorin aufgrund der Prämisse, dass die Identitäten von Bürger und Individuum niemals miteinander versöhnt werden können, da sie der Spannung zwischen Freiheit und Gleichheit entsprechen, zu dem Schluss, dass das Projekt der Demokratie niemals vollendet sein wird. So kann sie die Tatsache, dass diese Spannung das unvermeidliche Ergebnis der ungleichen Verteilung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Macht ist, einfach ignorieren. Dementsprechend gibt es in ihrer Problemstellung auch keinen Raum für eine alternative Definition einer umfassenden Demokratie, welche die notwendigen (wenn auch nicht hinreichenden) Bedingungen für eine Beseitigung der Spannung zwischen Gleichheit und Freiheit schaffen könnte.

Eine radikalere Version von Demokratie ist David Millers „deliberative Demo­kra­tie“,[95] die in wirtschaftlicher Hinsicht eine Form des Marktsozialismus darstellt,[96] also eine Kombination von gesellschaftlichem Eigentum an den Pro­duk­tionsmitteln mit einer Marktwirtschaft. In der Beschreibung des Modells durch den Autor „besagt die Kernidee, dass für die meisten Güter und Dienstleistungen der Markt als Versorgungsmechanismus beibehalten wird, während das Eigentum am Kapital vergesellschaftet werden soll“.[97] Auf mikroökonomischer Ebene geht dieses Modell davon aus, dass alle Entscheidungen über das Was und Wie der Produktion von produktiven Unternehmen getroffen werden, die als Arbeiterkooperativen (und damit im Vergleich zu den anderen Formen „radikaler“ Demokratie wahrlich radikal) organisiert sind und auf dem Markt um Kundschaft konkurrieren. Auf makroökonomischer Ebene geht das Modell außer von der Vergesellschaftung des Kapitals davon aus, dass eine bewusste Verteilungspolitik dafür sorgen soll, dass jeder Bürger und jede Bürgerin adäquate Möglichkeiten hat, seine/ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen.[98] Und schließlich wird auch die Demokratie am Arbeitsplatz sichergestellt, da jedes Unternehmen durch die Personen kontrolliert wird, die für es arbeiten und auch darüber entscheiden, wie das Einkommen der Kooperative verteilt werden soll.

Es ist klar, dass dieses Modell des Marktsozialismus ebenso unhistorisch ist wie die Propagierung der „Zivilgesellschaft“, da es ein Ausmaß an Staatlichkeit voraussetzt, das - wie ich in den ersten beiden Kapiteln zu zeigen versucht habe - in der heutigen internationalisierten Marktwirtschaft gar nicht mehr möglich ist. Sehr zurecht weist daher Christopher Pierson in seiner Kritik dieses und ähnlicher Modelle des Marktsozialismus auf folgenden Punkt hin:

Meiner Ansicht nach müssen wir davon ausgehen, dass jede Form der Marktgesellschaft, die mit den Bestrebungen der Marktsozialisten vereinbar sein soll, einen starken und interventionistischen Staat benötigen wird, ja, sogar einen Staat, dessen Interventionen fast mit Sicherheit noch umfangreicher sein werden als die in den bestehenden Wohlfahrtsstaaten. ... Hier besteht eine Ironie: Das marktsozialistische Modell ist in hohem Maß ein Modell für den „Sozialismus in einem Nationalstaat“. Dabei entstand das Interesse am Marktsozialismus weitgehend durch die offenkundige Unmöglichkeit, in einem nationalen Rahmen eine sozialistische oder sozialdemokratische Strategie zu verfolgen (vor allem deshalb, weil die internationalen Märkte eine solche Strategie untergraben).[99]

Aber auch abgesehen von dieser Kritik an der mangelnden Durchführbarkeit lässt sich die in diesem Modell vorgesehene Form der politischen und wirtschaftlichen Organisation kaum als Demokratie charakterisieren. Sie sieht bestenfalls eine Form der Demokratie am Arbeitsplatz vor. Die hier vorgeschlagene Form der Demokratie ist keine politische Demokratie, da sie auf repräsentativer Demokratie basiert. Und sie kann auch nicht als wirtschaftliche Demokratie bezeichnet werden, da bei ihr die Verteilung der produktiven Ressourcen nicht durch Bürgerversammlungen, sondern durch miteinander konkurrierende Kooperativen festgelegt wird. Es ist daher klar, dass außer den Mitgliedern einer solchen Kooperative in einem solchen Modell die Bürger im Prozess der Ressourcenverteilung kein weiteres Mitspracherecht genießen. Aber das kann nur ein partielles und fragmentarisches Recht sein, da es sich nur auf die Tätigkeit des Unternehmens bezieht, in dem die jeweiligen Bürger arbeiten, und all die Probleme mit sich bringt, die dieses Arrangement in bezug auf Arbeitslosigkeit und Sicherheit des Arbeitsplatzes mit sich bringt - es sei denn, dies wird durch ein umfangreiches Eingreifen des Staates in eine geschlossene Wirtschaft vermieden. Kurz, das Modell der deliberativen Demokratie leidet (ebenso wie vergleichbare Modelle des Marktsozialismus) unter demselben grundsätzlichen Mangel wie ein Großteil des heutigen „sozialistischen“ Denkens, nämlich unter der Grundannahme, dass nur kapitalistische Märkte, nicht aber das gesamte System der Marktwirtschaft, wie wir es in diesem Buch definiert haben, mit Demokratie unvereinbar sind.

Eine weitere Variante „radikaler“ Demokratie, die Kritik an marktwirtschaftlichen Modellen wie dem skizzierten Modell der deliberativen Demokratie übt, weil sie sich zum Schaden wichtiger anderer Aspekte der Zivilgesellschaft auf die Unternehmen konzentrierten, ist das Modell der „Assoziations-“ oder „assoziativen“ Demokratie.[100] Die Assoziationsdemokratie zielt jedoch nicht wie der Marktsozialismus auf eine radikale Veränderung der Gesellschaft ab. Ihr Ziel ist viel bescheidener: Sie soll „als Ergänzung und gesunde Konkurrenz der augenblicklich dominierenden Formen sozialer Organisation [fungieren]: der repräsentativen Massendemokratie, der bürokratischen staatlichen Wohlfahrt und der Großkonzerne“.[101] Aber obwohl die Assoziations­demokratie den gesamten derzeitigen institutionellen Rahmen als gegeben voraussetzt und keinerlei Absicht erkennen läßt, ihn durch einen anderen zu ersetzen, zögern seine Vertreter nicht, ihn als „einen dritten Weg“ zwischen Marktwirtschaft und Staatssozialismus zu präsentieren![102]

Wie Hirst unterstreicht, unterscheidet sich der assoziationsdemokratische Ansatz insofern von einigen Versionen des zivilgesellschaftlichen Ansatzes, als er die selbstverwalteten freiwilligen Körperschaften nicht als „zweitrangige Verbände“ behandelt, sondern als das Hauptinstrument zur Organisierung des sozialen Lebens in einer Gesellschaft, in welcher der Staat sich „in eine zweitrangigen (wenn auch unabdingbar lebensnotwendige) öffentliche Macht verwandelt, die den Frieden zwischen den Assoziationen sichert, die Rechte der Einzelnen schützt und die Mechanismen öffentlicher Finanzierung liefert, durch die ein großer Teil der Tätigkeit der Assoziationen finanziert wird.[103] Da die Assoziationsdemokratie die Bedeutung der Konzentration wirtschaftlicher Macht für die Konzentration gesellschaftlicher Macht anerkennt, tritt sie für ein hohes Maß an Dezentralisierung ein. Die Assoziationsdemokratie soll sogar eine Leitlinie für die Dezentralisierung der Verwaltung und einen praktikablen Weg zu deren Verwirklichung liefern. Sie verfolgt also das Ziel, „den Raum der Zivilgesellschaft wiederherzustellen, indem sowohl die Unternehmen als auch die staatlichen Sozialeinrichtungen in selbstverwaltete Assoziationen umgewandelt werden. Das wird seine Zeit dauern, und in der Zwischenzeit sind diejenigen politischen Strategien am realistischsten, die die kooperative Wirtschaft und den freiwilligen Sektor der Sozialeinrichtungen stärken.“[104]

Die Bedeutung, die der „kooperativen Wirtschaft“ in der Assoziationsdemokratie zugeschrieben wird, zielt jedoch nicht auf Arbeiterkooperativen, die, ganz im Gegenteil, ebenso wie der Gildensozialismus in einer Welt des internationalen Wettbewerbs, als sowohl unerwünscht als auch überholt betrachtet werden.[105] Statt dessen wird eine Stärkung der kleinen und mittelgroßen Firmen durch eine sie stützende regionale und lokale institutionelle Infrastruktur und Regulierung der Wirtschaft durch regionale und lokale wirtschaftsbegleitende und öffentliche Institutionen vorgeschlagen. Gleichzeitig sieht die Assoziationsdemokratie die Ersetzung der heutigen „Shareholder“-Ökonomie durch eine „Stakeholder“-Öko­nomie [„Anteilseigner“ vs. „Anteilnehmender“  d.Ü.] vor. So soll die Verwaltung der Unternehmen in der Hand von Vertretern einer dreipoligen Beziehung von Teilhabern (Arbeitern, Kapitalisten und der örtlichen Gemeinschaft) liegen statt wie heute Vertretern der Aktienbesitzer - ein Arrangement, das behilflich sein soll, Firmen gegenüber ihren Mitarbeitern und der Gesamtgesellschaft gegenüber rechenschaftspflichtig zu machen.

Auf die naheliegenden Fragen, wer diese Reformen in Gang setzen soll und warum, gibt dieses Modell zweierlei Antwort. Auf die Frage nach dem „wer“ lautet die Antwort, dass „private Initiativen Hand in Hand mit staatlichen Reformen gehen müssen - und tatsächlich von ihnen abhängig sein können. Es wären rechtliche und institutionelle Veränderungen notwendig, um das rasche Wachstum der auf Assoziationen basierenden Verwaltung zu erleichtern“.[106] Auch hier wird ganz offensichtlich dem Staat eine weitaus wichtigere wirtschaftliche Rolle zugewiesen wird als die, die ihm heute im Rahmen der internationalisierten Marktwirtschaft zugestanden wird.

In bezug auf das „Warum“ gibt es eine „moralische“ und eine „wirtschaftliche“ Antwort. Der moralischen Antwort zufolge ist „dem Wohlergehen und der Freiheit der Menschen am besten gedient, wenn so viele Bereiche der Gesellschaft wie möglich von auf freiwilliger Mitgliedschaft basierenden, demokratisch selbstverwalteten Assoziationen gesteuert werden“.[107] Der wirtschaftlichen Antwort zufolge ist „es den pro­sperierendsten Gesellschaften“ (wie Deutschland und Japan) „ gelungen, Kooperation und Wettbewerb miteinander zu verbinden“, während die Gesellschaften, die (wie England und die USA) nach dem angelsächsischen Modell funktionieren, „diese quasi-kollektivi­stischen und korporativen Formen gesellschaftlicher Solidarität nicht entfalten oder auch nur erhalten konnten“.[108] All diese Vorschläge kommen gerade zu der Zeit, in der das Modell des „rheinischen Kapitalismus“ sich deshalb im Niedergang befindet, weil das von den Assoziationsdemokraten an ihm so bewunderte Merkmal - nämlich die stärkere soziale Kontrolle über die Märkte - seine Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem angelsächsischen Modell schwächen.

Eine weitere Version der „radikalen Demokratie“, die auch als Versuch einer Internationalisierung des oben diskutierten, unannehmbar „geschlossenen“ Ansatzes der Zivilgesellschaft aufgefasst werden könnte, ist das von David Held vorgeschlagene „kosmopolitische Modell der Demokratie“.[109] So schlägt der Autor - nachdem er ausdrücklich der Trennung der Gesellschaft von Wirtschaft und Staat und damit dem System der Marktwirtschaft und der liberalen Demokratie zugestimmt hat - einen Prozess der „doppelten Demokratisierung“ vor, bei dem in wechselseitiger Abhängigkeit sowohl der Staat als auch die Zivilgesellschaft verändert werden sollen. Da ich in meiner Untersuchung des zivilgesellschaftlichen Ansatzes bereits diskutiert habe, ob eine solche „doppelte Demokratisierung“ inhaltlich durchführbar oder überhaupt wünschenswert ist, werde ich mich hier auf die Diskussion der „kosmopolitischen“ Aspekte des Modells beschränken, insbesondere die Frage, ob diese Konzeption der Demokratie realistischer ist als die gängigen Versionen des zivilgesellschaftlichen Ansatzes.

Die grundlegende Prämisse des „kosmopolitischen Modells“ besagt, dass Demokratie in der heutigen internationalisierten Marktwirtschaft zu einer „transnationalen Angelegenheit“ werden muss. Daraus folgt, dass eine Reihe institutioneller Voraussetzungen erfüllt sein muss, damit die Möglichkeit der Demokratie mit einem wachsenden Netz demokratischer Institutionen und Agenturen verbunden werden kann. Held erwähnt folgende Voraussetzungen: die Schaffung regionaler Parlamente (mit einem mit erweiterten Befugnissen ausgestatteten Europäischen Parlament als Modell), die Etablierung allgemeiner, grenzüberschreitender Volksabstimmungen, Einführung der Rechenschaftspflicht internationaler Regierungsorganisationen gegenüber der Öffentlichkeit, die Verankerung einer Reihe neuer Rechte (politischer, wirtschaftlicher und sozialer Art) und eine neu formierte UNO, die „kompromisslos danach streben würde, den Prinzipien demokratischer Repräsentation den Vorrang vor dem politischen Vorgehen irgendwelcher Supermächte einzuräumen“.[110] Außerdem schlägt der Autor diverse Methoden zur Beschränkung „der Aktivitäten mächtiger transnationaler Gruppen bei der unkontrollierten Verfolgung ihrer Interessen“ vor.[111] Vervollständigt wird das Modell durch die übliche Kombination von Unternehmen in kooperativem und Privatbesitz, so dass „der modus operandi von Produktion, Verteilung und Ressourcennutzung mit dem demokratischen Prozess und einem gemeinsamen Handlungsrahmen vereinbar bleibt“.[112]

Wie aus den eben aufgezählten institutionellen Vorbedingungen des „kosmopolitischen Modells“ klar hervorgeht, sind einige dieser Bedingungen für die herrschenden politischen und wirtschaftlichen Eliten bestens zu „verschmerzen“ und werden möglicherweise als Resultat der gegenwärtigen Entwicklung der Wirtschaftsblöcke ganz von selbst entstehen (regionale Parlamente, regionale Referenden, größere Offenheit). Andere Vorstellungen fallen in den Bereich der Science Fiction (wer soll denn die Supermächte dazu zwingen, ihre Privilegien in einer neu formierten UNO aufzugeben?). Und schließlich finden wir zwischen diesen beiden Extremen eine Grauzone von Vorschlägen (Kontrollmechanismen für die Aktivitäten der Multinationalen, Verankerung einer Reihe ökonomischer und sozialer Rechte), deren Durchführbarkeit von ihrem konkreten Inhalt abhängt - den der Autor aber unbestimmt lässt. Wenn der Inhalt, den man diesem Arrangement gibt (wie z.B. bei der Verankerung des Rechtes jeden Bürgers auf einen Arbeitsplatz und einer festen Verpflichtung der Regierungen auf dieses Ziel, oder der Festlegung strikter Beschränkungen für die Aktivitäten multinationaler Firmen auf der Basis ökologischer Kriterien), in Konflikt mit den Erfordernissen der internationalisierten Marktwirtschaft gerät, driften wir erneut in den Bereich der Science Fiction ab, so dass alles oben bereits dazu Gesagte hier nochmals wiederholt werden könnte. Aber wenn der Inhalt, der diesen Arrangements gegeben wird, die Logik und Dynamik der internationalisierten Marktwirtschaft nicht berührt, wenn sie also den herrschenden Eliten gar nicht weh tun, so sind sie zwar durchaus durchführbar, haben aber dafür mit den Bestrebungen der Zivilgesellschaftler zur Durchsetzung wirksamer sozialer Kontrollen über die Märkte nur wenig zu tun.

Die Konzeption einer umfassenden Demokratie


Es könnte vielleicht fruchtbar sein, die Diskussion über eine neue Konzeption der Demokratie mit einer Unterscheidung der beiden wichtigsten Bereiche der Gesellschaft zu beginnen, nämlich dem Bereich des Öffentlichen und dem Bereich des Privaten, zu denen wir dann noch einen als die Sphäre der Beziehungen zwischen der natürlichen und der sozialen Welt definierten „ökologischen Bereich“ hinzufügen könnten. Zum öffentlichen Bereich gehört im vorliegenden Buch im Gegensatz zur Praxis vieler Verfechterinnen und Verfechter des republikanischen oder demokratischen Projekts (Arendt, Castoriadis, Bookchin et. al.) nicht nur der politische, sondern auch der wirtschaftliche und der „soziale“ Bereich, also jedes Gebiet menschlicher Aktivität, in dem kollektiv und demokratisch Entscheidungen gefällt werden können. Der politische Bereich wird als die Sphäre politischer Entscheidungen, als das Gebiet, in dem politische Macht ausgeübt wird, definiert. Der ökonomische Bereich wird als die Sphäre ökonomischer Entscheidungen und damit als das Gebiet definiert, in dem ökonomische Macht ausgeübt wird, um die in jeder Mangelgesellschaft zu treffenden wirtschaftlichen Grundsatzentscheidungen zu treffen. Der soziale Bereich schließlich wird definiert als die Sphäre der Entscheidungen am Arbeitsplatz, in den Erziehungs- und Bildungsinstitutionen und all den anderen wirtschaftlichen oder kulturellen Institutionen, die konstituierende Elemente der demokratischen Gesellschaft darstellen.

Meiner Meinung nach ist die Ausdehnung des traditionellen öffentlichen Bereichs auf den wirtschaftlichen, ökologischen und „sozialen“ Bereich unverzichtbares Element einer umfassenden Demokratie. Wir können demnach vier wichtige Typen von Demokratie unterscheiden, die alle zusammen die grundlegenden Bestandteile einer umfassenden Demokratie bilden: die politische, wirtschaftliche und ökologische Demokratie und die „Demokratie im sozialen Bereich“. Politische, wirtschaftliche und soziale Demokratie lässt sich in Kürze als institutioneller Rahmen definieren, der auf die gleichberechtigte Verteilung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Macht abzielt: mit anderen Worten, als System, das die effektive Beseitigung der Herrschaft des Menschen über den Menschen anstrebt. Parallel dazu können wir ökologische Demokratie als institutionellen Rahmen definieren, der auf die Eliminierung sämtlicher menschlicher Versuche einer Herrschaft über die natürliche Welt abzielt, also als System, das sich die Reintegration von Mensch und Natur zum Ziel setzt.

Politische Demokratie

Wir können in der Geschichte verschiedene Formen der Teilung politischer Macht unterscheiden, die wir grob als demokratisch oder oligarchisch klassifizieren können. Bei der ersten Form ist die politische Macht unter allen, die im Besitz voller Bürgerrechte sind, gleich verteilt (typisches Beispiel: ecclesia Athens), während bei letzterer Form die politische Macht in unterschiedlichem Ausmaß in den Händen aller möglicher Eliten konzentriert ist.

Im politischen Bereich kann es nur eine Form der Demokratie geben, und zwar das, was wir als politische oder direkte Demokratie bezeichnen könnten. In ihr ist die politische Macht gleich unter alle Bürger aufgeteilt. Also basiert politische Demokratie auf der gleichberechtigten Aufteilung der politischen Macht unter alle Bürger, der Selbstinstituierung der Gesellschaft. Das heißt, dass eine Gesellschaft, um als politische Demokratie bezeichnet werden zu können, folgende Bedingungen erfüllen muss:

1. Die Demokratie beruht auf der bewussten Entscheidung ihrer Bürger für individuelle und kollektive Autonomie und nicht auf irgendwelchen göttlichen oder mystischen Dogmen oder vorgefassten Meinungen, oder irgendeinem geschlossenen System, in dem gesellschaftliche oder naturwissenschaftliche „Gesetze“ oder Tendenzen über soziale Veränderungen be­stimmen.

2. Es gibt keine institutionalisierten politischen Prozesse oligarchischer Natur. Das heißt auch, dass alle politischen Entscheidungen (auch die, die mit der Ausarbeitung und Verabschiedung von Gesetzen zu tun haben) kollektiv und ohne eine Extra-Vertretung von der Körperschaft der Bürger getroffen werden.

3. Es sind keine institutionalisierten politischen Strukturen vorhanden, die ungleiche Machtbeziehungen verkörpern. Wenn also beispielsweise an Teile der Körperschaft der Bürger die Autorität zur Verrichtung bestimmter Pflichten delegiert wird (wie zum Beispiel als Mitglieder von Volksgerichten oder von Regional- und Föderationsräten), geschieht diese Delegierung prinzipiell durch Los und auf Rotationsbasis und kann jederzeit durch die Körperschaft der Bürger widerrufen werden. Ferner sollte das Mandat von Delegierten zu regionalen und Föderationskörperschaften spezifischer Art sein. Das ist ein effektiver Schritt zur Abschaffung hierarchischer Beziehungen, da solche Beziehungen heute in hohem Maß auf dem Mythos der „Experten“ basieren, die angeblich imstande sind, alles, von der Natur bis zur Gesellschaft, zu kontrollieren. Aber abgesehen von der Tatsache, dass das Wissen der Experten (zumindest in bezug auf gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Phänomene) zweifelhaft ist, sind politische Entscheidungen in einer demokratischen Gesellschaft nicht Sache der Experten, sondern den Betroffenen, der Körperschaft der Bürger. Dieses Prinzip wurde von den Bewohnern Athens konsistent angewendet, da für sie „alle Bürger, sofern sie es wünschten, an der Verwaltung des Staates teilnehmen sollten, wobei aber alle Amateure bleiben sollten ... Berufspolitik und Demokratie wurden als letztlich unvereinbar miteinander betrachtet“.[113]

4. Alle Einwohner eines bestimmten geographischen Gebiets (das heute - dazu mehr im nächsten Kapitel - nur die Form einer geographischen Gemeinschaft annehmen kann) oberhalb eines bestimmten Alters (das von der Körperschaft der Bürger selbst festgelegt werden muss) sind ungeachtet ihres Geschlechts, ihrer Rasse und ihrer ethnischen oder kulturellen Identität Mitglieder der Körperschaft der Bürger und somit direkt am Entscheidungsprozess beteiligt.

Diese Bedingungen sind ganz offenkundig in der parlamentarischen „Demokratie“ (wie sie im Westen existiert), der sowjetischen „Demokratie“ (wie sie früher im Osten bestand) und den diversen fundamentalistischen und halbmilitärischen Regimes im Süden nicht erfüllt. Bei all diesen Regimes handelt es sich daher um Formen der politischen Oligarchie, in denen die politische Macht in den Händen unterschiedlicher Eliten (Berufspolitiker, Parteibürokraten, Geistliche, Militärs und so weiter) konzentriert ist. In ähnlicher Weise beherrschten in der Vergangenheit verschiedene Arten von Oligarchie den politischen Bereich, und Kaiser, Könige und ihre Höfe konzentrierten teils mit, teils ohne Beteiligung von Rittern, Geistlichen und anderen die politische Macht in ihrer Hand.

Andererseits gab es in der Vergangenheit verschiedene Versuche, unterschiedliche Formen direkter Demokratie zu institutionalisieren; dies geschah besonders in revolutionären Perioden (zum Beispiel in den Pariser Sektionen Anfang der neunziger Jahre des 18. Jahrhunderts, den Versammlungen in Spanien während des Bürgerkriegs usw.). Aber die meisten dieser Versuche waren kurzlebig und führten in der Regel nicht zur Institutionalisierung der Demokratie als neuer Form des politischen Regimes, das den Staat ersetzt und nicht nur ergänzt. In anderen Fällen wurden demokratische Verhältnisse in Form einer Reihe von Verfahrensweisen für lokale Entscheidungen eingeführt. Wie Hansen bemerkt, waren vier Kantone und vier Halbkantone in der Schweiz, die von Volksversammlungen (Landsgemeinden) regiert wurden und damals als souveräne Staaten galten, vielleicht die einzige echte Parallele zur Demokratie Athens.[114]

Also das einzige historische Beispiel einer institutionalisierten direkten Demokratie, in welcher der Staat über beinahe zwei Jahrhunderte (508/7 v. Chr. bis 322/21 v. Chr.) in der demokratischen Form der sozialen Organisation aufging, war die Athenische Demokratie. Natürlich war die Demokratie Athens, wie wir oben gesehen haben, nur eine partielle politische Demokratie. Aber was die Athenische Demokratie zu einer partiellen machte, waren nicht die politischen Institutionen selbst, sondern die sehr eng gefasste Definition voller Bürgerrechte bei den Athenern - eine Definition, die große Teile der Bevölkerung (Frauen, Sklaven, Einwanderer) ausschloss, Teile, die in Wirklichkeit die große Mehrheit der in Athen lebenden Menschen bildeten.

Außerdem spreche ich von „institutionalisierter“ direkter Demokratie, um den Unterschied zwischen demokratischen Institutionen und demokratischer Praxis klarzustellen. Wie Kritiker der Demokratie bemerkt haben, könnte letztere manchmal als de facto „oligarchisch“ charakterisiert werden, da der Entscheidungsprozeß letzten Endes oft von einem starken Führer (z.B. Perikles) oder einer kleinen Anzahl von Demagogen kontrolliert wurde. Aber das kann schwerlich als ernsthafte Kritik an den demokratischen Institutionen selbst betrachtet werden. Wie ich bereits oben argumentiert habe, war es gerade der partielle Charakter der politischen Demokratie Athens, der zusammen mit den gravierenden Unterschieden in der Verteilung der wirtschaftlichen Macht nicht nur ernste Widersprüche im demokratischen Prozess erzeugte, sondern schließlich auch durch die Schwächung der wirtschaftlichen Basis besagten Prozesses zum Zusammenbruch der demokratischen Institutionen selbst führte.

Es ist daher klar, dass die Institutionalisierung direkter Demokratie nur die notwendige Vorbedingung für die Etablierung von Demokratie darstellt. Wie Castoriadis schreibt: „Die Existenz eines öffentlichen Raums (d.h. eines politischen Bereichs, der allen gehört) ist nicht nur eine Frage der rechtlichen Vorkehrungen zur Garantierung von Rechten wie Redefreiheit usw. Solche Voraussetzungen sind lediglich die Bedingung dafür, dass ein öffentlicher Raum überhaupt existiert.“[115] Die Bürger Athens zum Beispiel debattierten vor und nach ihren Beratungen in den Versammlungen auf der agora über Politik.[116] Ebenso wichtig war die Rolle, die [das  altgriech. Erziehungsideal - d.Ü.] paideia  in der Bildung der Bürger spielte. Die paideia ist nicht einfach Bildung, sondern Entwicklung des Charakters und eine umfassende Ausbildung in bezug auf Wissen und Fertigkeiten, d.h., die Erziehung des Individuums als Bürger, da nur ein solcher Bürger „dem ‚öffentlichen Raum’ wahren, substantiellen Gehalt geben kann“.[117] So unterstreicht Hansen im Hinblick auf die entscheidende Rolle der paideia:

Im griechischen Denken waren es die politischen Institutionen, die den „demokratischen“ Menschen und die „demokratische Lebensweise“ formten, und nicht umgekehrt: die Institution der Polis erzog und formte das Leben der Bürger, und um das bestmögliche Leben zu haben, musste man die bestmöglichen Institutionen und ein Bildungssystem haben, das diesen Institutionen entsprach.[118]

Wirtschaftliche Demokratie

Anders als bei der Institutionalisierung politischer Demokratie hat es in der Geschichte noch nie ein vergleichbares Beispiel für eine institutionalisierte wirtschaftliche Demokratie gegeben. In den historisch bekannten Gesellschaften bis zum Aufstieg der Marktwirtschaft wurden die meisten wirtschaftlichen Entscheidungen auf der Mikroebene getroffen, nämlich im Rahmen der individuellen Produktionseinheit, obwohl die Gesellschaft in unterschiedlicher Weise ihre Macht gegenüber den Märkten einsetzte, die, wie wir in Kapitel 1 gesehen haben, für einen Teil der wirtschaftlichen Aktivitäten eine Durchgangsstation bildeten. In den meisten dieser Gesellschaften war die wirtschaftliche Macht entsprechend den etablierten Mustern einer ungleichen Verteilung von Einkommen und Vermögen ungleich verteilt. Aber selbst wenn das Ausmaß der Ungleichheit im Hinblick auf Einkommen und Reichtum gering war, war dies nicht notwendigerweise mit wirtschaftlicher Demokratie im Sinne kollektiver Entscheidungen über die Allokation wirtschaftlicher Ressourcen verbunden.

Ähnlich war direkte Demokratie im politischen Bereich, selbst wenn es sie gab, nicht notwendigerweise mit wirtschaftlicher Demokratie verbunden. Dementsprechend war im klassischen Athen die Frage der wirtschaftlichen Macht nie ein öffentliches Thema. Das lag natürlich daran, dass die Akkumulation von Kapital kein strukturelles Merkmal der Demokratie Athens und daher auch nicht Teil des vorherrschenden sozialen Paradigmas war. Daher gehörten (wie Aristoteles explizit bemerkte[119]) Fragen nach der wünschenswerten Art der Ressourcenallokation nicht in den öffentlichen Bereich, sofern es dabei nicht um die Etablierung sozialer Kontrollmechanismen zur Regulierung des begrenzten Marktes oder die Finanzierung „öffentlicher“ Ausgaben ging. Daher nimmt es kaum Wunder, dass die Athener der klassischen Periode in den Worten Hansons „zwar ein kompliziertes Netz politischer Institutionen, aber - soweit wir den Quellen entnehmen können - keine entsprechenden wirtschaftlichen Institutionen besaßen“.[120]

Erst als vor zweihundert Jahren die Marktwirtschaft entstand, stellte sich auch die Frage, wie wichtige wirtschaftliche Entscheidungen (etwa darüber, wie, was und für wen produziert werden soll) getroffen werden sollten, und zugleich damit die Frage nach der Verteilung der wirtschaftlichen Macht. Ebenso klar ist, dass die Formen wirtschaftlicher Organisation, die seit der Entstehung der Marktwirtschaft vorgeherrscht haben, nämlich Kapitalismus und Staatssozialismus, lediglich Varianten der wirtschaftlichen Oligarchie waren, bei denen die wirtschaftliche Macht in den Händen kapitalistischer bzw. bürokratischer Eliten konzentriert war.

Und so hat der Gesellschaftstyp, der sich seit dem Aufstieg der Marktwirtschaft entwickelt hat, eine definitive Verschiebung der Wirtschaft aus dem privaten Bereich in die Sphäre erlebt, die Hannah Arendt den „gesellschaftlichen Raum“ genannt hat und zu der auch der Nationalstaat gehört. Es ist gerade diese Verschiebung, die alle Reden von Demokratie hohl werden lässt, wenn sie nicht auch auf die Frage der wirtschaftlichen Macht zu sprechen kommen: Von gleichberechtigter Verteilung der politischen Macht zu sprechen, ohne deren Voraussetzung, nämlich die gleichberechtigte Verteilung der politischen Macht zu erwähnen, ist bestenfalls sinnlos und im schlimmeren Fall Betrug. Es ist kein Zufall, dass der heutige Niedergang der repräsentativen Demokratie viele Liberale, Sozialdemokraten und andere zu Lippendiensten gegenüber der direkten Demokratie veranlasst, aber ohne dass sie deshalb auf deren notwendige Ergänzung, nämlich die wirtschaftliche Demokratie, hinweisen würden.

Deshalb bin ich der Meinung, dass Aussagen, die z.B. die USA als „ungewöhnlich freies Land“ beschreiben (so offenbar Noam Chomsky in einem kürzlich erschienenen Interview mit einer Athener Tageszeitung[121]), auf dem Holzweg sind. Eine solche Einschätzung wäre meines Erachtens nur dann haltbar, wenn wir politische Freiheit und Gleichheit von wirtschaftlicher Freiheit und Gleichheit trennen könnten. Angesichts des politischen Werks von Noam Chomsky[122] glaube ich kaum, dass er mit einer derartigen Trennung dieser beiden Freiheiten einverstanden wäre. Selbst wenn man zugibt, dass in den USA auf legislativer Ebene ein hohes Maß an politischer Freiheit erreicht worden sein mag (auch wenn hinsichtlich der Umsetzung der jeweilige Gesetzgebung gegenüber Minderheiten usw. natürlich ernsthafte Vorbehalte angebracht sind), lässt das für das wirtschaftliche Entwicklungsniveau dieses Landes enorme Maß an wirtschaftlicher Ungleichheit und Armut die USA gewiss nicht als „ungewöhnlich freies Land“ erscheinen.

So können wir auf Basis der oben versuchten, vorläufigen Definition von wirtschaftlicher Demokratie sagen, dass die folgenden Bedingungen erfüllt sein müssen, um eine Gesellschaft als wirtschaftliche Demokratie bezeichnen zu können:

  • Es gibt keine institutionalisierten wirtschaftlichen Prozesse oligarchischer Art. Das heißt, dass alle wirtschaftlichen „Makro“-Ent­scheidungen - Entscheidungen, die die Verwaltung der Wirtschaft als Ganze betreffen (das gesamte Niveau von Produktion, Konsum und Investitionen, die entsprechenden Mengen von Arbeit und Mußezeit, die zu verwendende Technologie usw.) - von der Körperschaft der Bürger kollektiv und ohne Extra-Vertre­tung getroffen werden, während die wirtschaftlichen „Mikro“-Entscheidungen auf der Ebene des Arbeitsplatzes oder der Einzelhaushalte von der jeweiligen Produktions- oder Konsumeinheit getroffen werden.

  • Es existieren keine institutionalisierten wirtschaftlichen Strukturen, die ungleiche wirtschaftliche Machtbeziehungen in sich verkörpern. Das bedeutet, dass sich die Mittel der Produktion und Verteilung in kollektivem Besitz befinden und direkt vom demos, der Körperschaft der Bürger kontrolliert werden. Jede Einkommens-Ungleich­heit ist daher Resultat zusätzlicher freiwilliger Arbeit auf individueller Ebene. Solche zusätzliche Arbeit jenseits dessen, was von jedem arbeitsfähigen Mitglied der Gesellschaft zugunsten der Befriedigung der Grundbedürfnisse aller verlangt wird, ermöglicht lediglich zusätzlichen Konsum, da eine individuelle Akkumulation von Kapital nicht möglich ist und Reichtum, der durch zusätzliche Arbeit akkumuliert wird, nicht vererbt werden kann.

Demokratie im gesellschaftlichen Bereich

Die Befriedigung der oben genannten Bedingungen für politische und wirtschaftliche Demokratie wären eine Wiedereroberung des politischen und des wirtschaftlichen Bereichs durch den öffentlichen Bereich, das heißt, die Wiedereroberung einer wahren sozialen Individualität zusammen mit der Schaffung der Bedingungen für Freiheit und Selbstbestimmung sowohl auf der politischen als auch der wirtschaftlichen Ebene. Politische und wirtschaftliche Macht sind jedoch nicht die einzigen Formen von Macht, und daher sorgen politische und wirtschaftliche Demokratie für sich allein genommen noch nicht für eine umfassende Demokratie. Eine umfassende Demokratie ist unvorstellbar, solange sie sich nicht auf den weiteren gesellschaftlichen Bereich erstreckt und auch den Arbeitsplatz, die Haushalte, die Erziehungs- und Bildungsinstitutionen und überhaupt jede zu diesem Bereich gehörende wirtschaftliche und kulturelle Institution mit einbezieht.

Geschichtlich hat es, besonders im 20. Jahrhundert, unterschiedliche Formen von Demokratie im sozialen Bereich gegeben, im allgemeinen in Zeiten revolutionärer Aktivität. Diese Formen der Demokratie waren jedoch nicht nur kurzlebig, sondern gingen auch selten über den Arbeitsplatz (wie z.B. bei den ungarischen Arbeiterräten[123] von 1956) und die Bildungsinstitutionen (wie im Fall der Pariser Studentenversammlungen 1968) hinaus.

Eine entscheidende Frage im Hinblick auf die Demokratie im sozialen Bereich betrifft die Beziehungen innerhalb des Haushalts. Aufgrund des gewachsenen Arbeitsbedarfs der Wachstumswirtschaft einerseits und der Aktivitäten der Frauenbewegung andererseits hat sich der soziale und wirtschaftliche Status der Frauen im Lauf des 20. Jahrhunderts verbessert. Dennoch sind die Geschlechterbeziehungen auf der Ebene des Haushalts, besonders im Süden, wo der größte Teil der Erdbevölkerung lebt, größtenteils hierarchisch. Aber obwohl der Haushalt mit dem öffentlichen Bereich ein fundamentales Merkmal - nämlich Ungleichheit und Machtbeziehungen - teilt, ist der Haushalt immer als Privatbereich eingestuft worden. Daher stellt sich das Problem, wie eine „Demokratisierung“ des Haushaltes erreicht werden könnte.

Eine mögliche Lösung dieses Problems ist die Auflösung der Trennung zwischen den Bereichen Haushalt und Öffentlichkeit. Dementsprechend glorifizieren einige feministische Autorinnen vor allem der ökofeministischen Richtung den oikos und seine Werte als Ersatz für die Polis und ihre Politik, was, wie Janet Biehl beobachtet, „leicht als Versuch verstanden werden kann, das Politische ins Häusliche, das Zivile ins Familiäre, das Öffentliche ins Private aufzulösen“.[124] Ähnliche versuchen einige grüne Denker, den öffentlichen Bereich auf ein erweitertes Haushaltsmodell nach Art einer kleinen, kooperativen Kommune zu reduzieren.[125] Am anderen Ende des Spek­trums versuchen einige marxistische Feministinnen,[126] den Dualismus Öffentliches/Privates zu beseitigen, indem sie alle privaten Räume in eine einheitliche Öffentlichkeit, eine sozialisierte oder brüderliche staatliche Sphäre auflösen. Allerdings sind, wie Val Plumwood bemerkt, die Feministinnen, die den privaten Charakter des Haushalts beseitigen wollen, heute in der Minderheit, obwohl die meisten Feministinnen hervorheben, wie sehr das Konzept der Privatheit des Haushalts missbraucht worden ist, um den zweitrangigen Status der Frauen gegen jede Herausforderung zu immunisieren.[127]

Wenn man davon ausgeht, dass der Haushalt dem privaten Bereich angehört, besteht eine andere mögliche Lösung darin, seine Bedeutung über die Freiheit aller seiner Mitglieder zu definieren. Wie Val Plumwood schreibt:

Wenn Feministinnen von der Demokratisierung des Haushalts sprechen,, meinen sie damit natürlich nicht, dass der Haushalt seines privaten Status beraubt und der „Tyrannei der Mehrheit“, der staatlichen Regulierung oder der Regulation durch allgemeine Wahlen in einer einzigen universalen, öffentlichen Sphäre unterworfen werden sollte, sondern dass die Haushaltsbeziehungen selbst demokratischen Charakter annehmen und die Haushalte sich eine Form geben sollten, die mit der Freiheit aller ihrer Mitglieder vereinbar ist.[128]

Meiner Ansicht nach geht es hier nicht um die Auflösung der Trennung zwischen privatem und öffentlichem Bereich. Die wirkliche Frage ist, wie bei Aufrechterhaltung und Stärkung der Autonomie beider Bereiche institutionelle Arrangements geschaffen werden können, die der Demokratie im Haushalt und im sozialen Bereich generell (am Arbeitsplatz, im Erziehungs- und Ausbildungsbereich usw.) Eingang verschaffen und gleichzeitig die institutionellen Arrangements der politischen und wirtschaftlichen Demokratie kräftigen. Wie schon oben erwähnt, ist eine wirksame Demokratie undenkbar, solange die freie Zeit nicht unter allen Bürgern gleich verteilt ist, und diese Bedingung kann niemals erfüllt werden, solange die gegenwärtigen hierarchischen Bedingungen im Haushalt, am Arbeitsplatz und anderswo aufrechterhalten bleiben. Ferner ist Demokratie im sozialen Bereich, besonders im Haushalt, unmöglich, bis institutionelle Arrangements eingeführt werden, die den Haushalt als Institution der Befriedigung von Bedürfnissen anerkennen und den Schutz und die Fürsorge, die er gewährt, in das allgemeine Schema der Bedürfnisbefriedigung integrieren.

Ökologische Demokratie

Bei der letzten Frage im Hinblick auf die Konzeption einer umfassenden Demokratie geht es um das Problem, wie wir einen umweltfreundlichen institutionellen Rahmen entwerfen können, der nicht als Grundlage einer naturbeherrschenden Ideologie dient. Einige Kritiker des Konzepts der umfassenden Demokratie sitzen dem Missverständnis auf, es ginge dabei um die Garantien, die eine umfassende Demokratie für eine Beziehung der Gesellschaft zur Natur bieten kann, die besser ist als in den alternativen Systemen der Marktwirtschaft oder des etatistischen Sozialismus. So versicherte ein sehr bekannter Ökosozialist erst vor kurzem, dass „der ‚geforderte’ ökologische Konsens unter den Bewohnern Ökotopias möglicherweise nicht nur durch die Etablierung einer Athenischen Demokratie gesichert werden kann, in der alle Bürger gebildet und rational sind“.[129] Der Autor versteht offensichtlich nicht, was Demokratie ist, weil derartige Garantien per definitionem ausgeschlossen sind, wenn wir Demokratie als einen Prozess der sozialen Selbstinstitution auffassen, in dem es keinen göttlichen oder „objektiven“ Code menschlichen Verhaltens gibt. Daher stellt die Ersetzung der Marktwirtschaft durch den neuen institutionellen Rahmen einer umfassenden Demokratie lediglich die notwendige Bedingung für eine harmonische Beziehung zwischen der natürlichen und der gesellschaftlichen Welt dar. Die hinreichende Bedingung besteht im entsprechenden Niveau des ökologischen Bewusstseins der Bürger. Und insgesamt könnte die auf die Instituierung einer umfassenden Demokratie folgende radikale Veränderung des herrschenden gesellschaftlichen Paradigmas zusammen mit der entscheidenden Rolle, welche die paideia in einem umweltfreundlichen institutionellen Rahmen spielen wird, mit einiger Wahrscheinlichkeit zu einer radikalen Veränderung der Haltung der Menschen gegenüber der Natur führen.

Eine demokratische ökologische Problemstellung kann also nur die institutionellen Voraussetzungen liefern, die die beste Hoffnung auf eine bessere menschliche Beziehung zur Natur bieten. Es spricht jedoch viel dafür, dass die Beziehung zwischen einer umfassenden Demokratie und der Natur weitaus harmonischer sein würde, als das in einer Marktwirtschaft oder einer staatssozialistischen Wirtschaft je möglich wäre. Die diese Vermutung stützenden Faktoren beziehen sich auf alle drei Elemente einer umfassenden Demokratie: das politische, ökonomische und gesellschaftliche.

Auf politischer Ebene gibt es Gründe für die Annahme, dass schon die bloße Etablierung eines öffentlichen Raums die Anziehungskraft des Materialismus in höchst gravierendem Maß reduzieren wird. Das ist deshalb der Fall, weil der öffentliche Raum dem Leben eine neue Bedeutung verleihen wird, welche die von der heutigen Konsumgesellschaft geschaffene Leere füllen kann. Die Erkenntnis dessen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, wird uns aller Voraussicht nach auf die überragende Rolle der Natur zurückverweisen. So schreibt Kerry H. Whiteside unter Verweis auf das Werk von Hannah Arendt:

Politische Beteiligung ist nicht einfach nur ein Mittel zur Förderung einer grünen Agenda. Sie ist auch nicht nur eine potentiell erfüllende Aktivität, die in einer weniger auf materiellen Konsum fixierten Welt weiter zur Verfügung stünde. Eine Gemeinschaft, die auf ihre kollektiven Beratungen stolz ist, erzeugt eine Lebensweise, die Arbeit und Produktion weniger attraktiv erscheinen lässt ... eine Welt, in der Arbeit nur als Teil eines bedeutungsvollen Lebens gesehen wird, wird den Konsum weniger verführerisch finden.[130]

Auch auf ökonomischer Ebene ist es kein Zufall, dass der Prozess der Zerstörung der Umwelt im großen Maßstab historisch mit dem Prozess der Vermarktwirtschaftlichung zusammenfiel. Mit anderen Worten, die Entstehung der Marktwirtschaft und der daraus folgenden Wachstumswirtschaft hatte entscheidende Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Gesellschaft und Natur und führte zum Aufstieg der Wachstumsideologie zum herrschenden sozialen Paradigma. So gewann eine „instrumentalistische“ Auffassung der Natur die Oberhand, die die Natur im Rahmen eines Prozesses endloser Machtkonzentration als Werkzeug des Wachstums ansah. Wenn wir davon ausgehen, dass heute nur eine föderale Gesellschaft eine umfassende Demokratie sichern kann, können wir auch vernünftigerweise annehmen, dass mit der Ersetzung der Marktwirtschaft durch eine demokratisch organisierte föderale Wirtschaft die auf dem Prinzip „Wachstum-oder-Tod“ basierende marktwirtschaftliche Dynamik von der neuen sozialen Dynamik der demokratisch-föderalen Wirtschaft abgelöst wird: einer Dynamik, die die Befriedigung der Bedürfnisse der Gemeinschaft und nicht Wachstum per se zum Ziel hat. Wenn die Befriedigung der Gemeinschaftsbedürfnisse nicht mehr wie heute von einer ständig erweiterten Produktion zur Erfüllung der vom Markt selbst geschaffenen „Bedürfnisse“ abhängt und die Verbindung zwischen Gesellschaft und Wirtschaft wiederhergestellt ist, gibt es keinen Grund mehr, weshalb die heutige instrumentalistische Sicht der Natur weiter das Verhalten der Menschen bestimmen sollte.

Und schließlich können wir mit einigem Recht erwarten, dass Demokratie im sozialen Bereich insgesamt positive Auswirkungen auf die Umwelt haben wird. Die Beseitigung patriarchaler Beziehungen im Haushalt und hierarchischer Beziehungen generell sollte ein neues Ethos der Nicht-Herrschaft schaffen, das sowohl für die Erste als auch die Zweite Natur gelten würde. Mit anderen Worten, die Schaffung demokratischer Verhältnisse im sozialen Bereich sollte ein entscheidend wichtiger Schritt zur Etablierung der hinreichenden Bedingungen für eine harmonische Beziehung zwischen Natur und Gesellschaft sein.

Aber abgesehen von den oben angeführten politischen und wirtschaftlichen Faktoren spielt hier auch ein ökologischer Faktor eine Rolle, der eine starke Basis für den Glauben an eine harmonische Beziehung zwischen Demokratie und Natur bildet: Der „lokalorientierte“ Charakter einer föderalen Gesellschaft könnte wohl ebenfalls zu deren umweltfreundlichen Charakter beitragen. So meint etwa Martin Khor vom Third World Network: „Lokale Kontrolle ist zwar nicht notwendigerweise ausreichend, aber in jedem Fall notwendig für den Schutz der Umwelt, während die Umwelt unter staatlicher Kontrolle notwendigerweise geschädigt wird.“[131] Die Notwendigkeit örtlicher Kontrolle wird offensichtlich, wenn wir daran denken, dass, wie Elinor Ostrom es ausdrückt, die Umwelt selbst lokal ist:

Kleine Gemeinschaften werden eher die formalen Voraussetzungen aufweisen, die für eine erfolgreiche und dauerhafte kollektive Verwaltung des Gemeinguts erforderlich sind. Zu diesen Bedingungen gehören die Sichtbarkeit der gemeinsamen Ressourcen und des Umgangs mit ihnen, Feedback über die Wirkung von Regulationen, verbreitetes Verständnis und Akzeptieren der Regeln, der ihnen zugrundeliegenden Prinzipien und der Werte (wie gleiche Behandlung aller und Umweltschutz), die in diesen Regeln zum Ausdruck kommen, sowie Absicherung der Werte durch Sozialisierung, Normen und rigorose Umsetzung in die Praxis.[132]

Darüber hinaus können wir - gestützt auf überwältigende Beweise für den bemerkenswerten Erfolg örtlicher Gemeinschaften bei der Sicherung ihrer Umwelt[133] - annehmen, dass Menschen, wenn ihr Lebensunterhalt direkt von ihrer natürlichen Umgebung abhängig ist, eine intime Kenntnis dieser Umgebung gewinnen werden, was ihr Verhalten gegenüber dieser Umgebung zwangsläufig positiv beeinflussen wird. Voraussetzung für eine erfolgreiche lokale Kontrolle über die Umweltbedingungen ist jedoch, dass die Gemeinschaft ihre natürliche Umgebung langfristig für ihren Lebensunterhalt braucht und daher ein direktes Interesse an deren Schutz hat - ein weiterer Grund, weshalb eine ökologische Gesellschaft ohne wirtschaftliche Demokratie unmöglich ist.

Insgesamt lässt die ökologische Krise unserer Tage im wesentlichen zwei Lösungen zu: Die eine Lösung geht von einer radikalen Dezentralisierung aus. So basiert die wirtschaftliche Effektivität der erneuerbaren Formen der Energie (Solar- und Windenergie etc.) ganz grundlegend auf der Organisation des sozialen und wirtschaftlichen Lebens in kleineren Einheiten. Diese Lösung ist jedoch von der internationalisierten Marktwirtschaft bereits marginalisiert worden, und zwar genau deshalb, weil sie mit der heutigen Konzentration der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Macht nicht vereinbar ist. Deshalb werden jetzt auch alternative Lösungen vorgetragen, die angeblich viele Vorteile der erneuerbaren Energien in sich vereinigen, ohne irgendwelche radikalen Veränderungen der Markt- und Wachstumswirtschaft erforderlich zu machen. So wird zum Beispiel für den Plan eines „Internationalen Thermonuklear-Reaktors“ geworben, da dieser unbegrenzt saubere und sichere Energie produziere. Unterschlagen wird dabei meistens, dass diese neue Energieform, um kommerziell lebensfähig zu sein, in großen Kraftwerken produziert werden muss, die eine massive Machtzentralisierung mit sich bringen. Wie ein Forscher treffend kommentiert: „Die Größe ist vital für die Fusionsenergie, da der Gesichtspunkt der Effizienz großangelegte Dimensionen erfordert.“[134]

Eine neue Konzeption von der Rolle der Bürger

Nach dieser Diskussion der grundlegenden Komponenten einer umfassenden Demokratie können wir nun die notwendigen Voraussetzungen der Demokratie und ihre Implikationen für eine neue Konzeption von der Rolle der Bürger zusammenzufassen. Demokratie ist auf ideologischer Ebene mit jedem geschlossenem System von Ideen oder Dogmen und auf institutioneller Ebene mit jeder Konzentration von Macht unvereinbar. Also basiert Demokratie auf einer selbstreflektierenden (nicht von irgendwelchen religiösen Überzeugungen oder Dogmen inspirierten) Wahl und auf institutionellen Netzen, die für die gleichberechtigte Aufteilung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Macht sorgen. Aber wie wir oben gesehen haben, sind das nur die notwendigen Bedingungen für Demokratie. Die hinreichende Bedingung, die dafür sorgt, dass die Demokratie nicht zu einer „Demago-kratie“ degeneriert, in welcher der demos von einer neuen Kaste von Berufspolitikern manipuliert wird, basiert in entscheidender Weise auf dem von den Bürgern erreichten Niveau an demokratischem Bewusstsein, das seinerseits wiederum von der paideia bestimmt wird.

Die oben angeführten Bedingungen für Demokratie waren bisher in der Geschichte noch nie vollständig gegeben. Wir haben bereits gesehen, weshalb die Demokratie Athens nur eine partielle Demokratie war. Ebenso erfüllten die vor einigen Jahren zusammengebrochenen „Volksdemokratien“ keine der obigen Bedingungen, obwohl in ihnen die wirtschaftliche Macht (im Hinblick auf Einkommen und Vermögen) breiter gestreut war als in den liberalen „Demokratien“. Und schließlich tun auch die gegenwärtigen liberalen „Demokratien“ den genannten Bedingungen nicht Genüge, obwohl sie eine breitere Streuung der politischen Macht aufweisen als die sozialistischen „Demokratien“. Man könnte jedoch argumentieren, dass die entwickelten liberalen „Demo­kratien“ von heute genau wie die klassische Demokratie die ideologische Bedingung erfüllen, da sie sich nicht auf irgendwelche göttliche oder mystische Dogmen bzw. „Gesetze“ der sozialen Veränderung gründen.

Alles in allem ergibt sich aus den obigen Bedingungen für Demokratie eine neue Konzeption von der Rolle des Bürgers, und zwar sowohl in wirtschaftlicher als auch in politischer, sozialer und kultureller Hinsicht. Demnach ist die politische Rolle des Bürgers mit neuen politischen Strukturen und der Rückkehr zur klassischen Konzeption von Politik (direkter Demokratie) verbunden. Die wirtschaftliche Rolle des Bürgers erfordert neue wirtschaftliche Strukturen demotischen Eigentums und demotischer Kontrolle über die wirtschaftlichen Ressourcen (also wirtschaftliche Demokratie). Der sozialen Rolle des Bürgers entsprechen selbstverwaltete Strukturen am Arbeitsplatz, Demokratie im Haushalt und neue Strukturen der Sozialversicherung, in denen alle Grundbedürfnisse (die auf demokratische Weise bestimmt werden müssen) durch die Ressourcen der Gemeinschaft gedeckt werden, ganz gleich, ob sie nun im Haushalt oder auf der Ebene der Gemeinschaft befriedigt werden. Und schließlich impliziert die kulturelle Rolle des Bürgers neue demokratische Strukturen der Verbreitung von und der Kontrolle über Information und Kultur (Massenmedien, Kunst etc.), die es allen Mitgliedern der Gemeinschaft ermöglichen, am kulturellen Prozess teilzunehmen und gleichzeitig ihr intellektuelles und kulturelles Potential zu entfalten.

Obwohl eine so verstandene Rolle des Bürgers eine geographisch definierte Art von Gemeinschaft voraussetzt, die als fundamentale Einheit des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens fungiert, geht sie dennoch davon aus, dass diese mit verschiedenen anderen Gemeinschaften (kultureller, professioneller, ideologischer und sonstiger Art) in enger Verbindung steht. Daher schließen die für die Gemeinschaft und ihre Bürger getroffenen Arrangements kulturelle oder sonstige Unterschiede, die auf dem Geschlecht, dem Alter, der ethnischen Gruppe etc. basieren, keineswegs aus, sondern stellen lediglich den öffentlichen Bereich zur Verfügung, in dem solche Unterschiede zum Ausdruck kommen können. Darüber hinaus institutionalisieren diese Arrangements verschiedene Sicherheitsventile, um die Marginalisierung solcher Unterschiede durch die Mehrheit zu verhindern. Was die Menschen in einer politischen Gemeinschaft vereint, ist daher nicht irgendeine Summe von gemeinsamen Werten, die der Gemeinschaft durch eine nationalistische Ideologie, ein religiöses Dogma, einen mystischen Glauben oder eine „objektive“ Interpretation der natürlichen oder sozialen „Evolution“ aufgezwungen wird, sondern die demokratischen Institutionen und Praktiken, die von den Bürgern selbst organisiert worden sind.

Es ist klar, dass die oben skizzierte neue Konzeption von der Rolle des Bürgers nur sehr wenig mit den liberalen und sozialistischen Definitionen dieser Rolle gemein hat, Definitionen, die mit der liberalen bzw. der sozialistischen Konzeption der Menschenrechte verbunden sind. So ist für die Liberalen der Bürger lediglich der individuelle Träger gewisser gesetzlich anerkannter Freiheiten und politischer Rechte, die angeblich eine gleichberechtigte Verteilung der politischen Macht sicherstellen. Für die Sozialisten wiederum ist der Bürger Träger nicht nur politischer Rechte und Freiheiten, sondern auch einiger sozialer und ökonomischer Rechte, während für Marxisten die Rolle des Bürgers mit dem kollektiven Eigentum an den Produktionsmitteln ihre Erfüllung findet.

Schließlich hat die hier vorgelegte Definition der Rolle des Bürgers nichts mit dem gegenwärtigen sozialdemokratischen Diskurs zu diesem Thema zu tun, der sich letztlich auf die institutionellen Bedingungen für die Etablierung einer internationalisierten Marktwirtschaft „mit menschlichem Antlitz“ konzentriert. Auch der Vorschlag einer Neudefinition der Rolle des Bürgers im Rahmen eines „Stakeholder-Kapitalismus“[135] gehört in diese Kategorie. Dieser Vorschlag spricht von einer „aktiven“ Gemeinschaft der Bürger, bei der die Bürger „Interessens-Anteile“ an den Unternehmen, der Marktwirtschaft und der Gesellschaft insgesamt haben und die Manager diese Anteile bei der Verwaltung der Unternehmen und sozialen Institutionen, mit der sie beauftragt sind, berücksichtigen müssen.

Die hier vertretene Konzeption der Rolle des Bürgers, die als demokratische Konzeption bezeichnet werden könnte, basiert auf unserer Definition der umfassenden Demokratie und setzt eine „partizipatorische“ Konzeption unter Teilnahme aktiver Bürger voraus, wie sie im Werk Hannah Arendts umrissen wird.[136] In dieser Konzeption ist „politische Aktivität nicht ein Mittel zum Zweck, sondern ein Zweck an sich; man beschäftigt sich nicht mit politischem Handeln, um das eigene Wohlergehen zu fördern, sondern um die dem politischen Leben innewohnenden Prinzipien wie Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Mut und Vortrefflichkeit zu verwirklichen“.[137] Es liegt also auf der Hand, dass diese Konzeption der Rolle des Bürgers qualitativ von den liberalen und sozialdemokratischen Konzeptionen verschieden ist, die einen „instrumentalistischen“ Standpunkt zur Rolle der Bürger einnehmen, eine Haltung also, der zufolge die Anerkennung als Bürger den Bürgern bestimmte Rechte verleiht, die sie wiederum als Mittel zum Zweck der Förderungen ihres individuellen Wohls ausüben können.

Um zum Schluss dieses Kapitels zu kommen, denke ich, dass die Wahl, vor der wir stehen, heute klarer ist als je zuvor in der Vergangenheit und mit den Alternativen „Demokratie oder Barbarei“ umrissen werden kann. Demokratie ist jedoch nicht mit den verschiedenen oligarchischen Regimes zu verwechseln, die sich selbst als demokratisch bezeichnen. Sie ist auch keine anachronistische Rückkehr zur klassischen Konzeption der Demokratie. Demokratie kann nur eine Synthese der beiden wichtigsten historischen Traditionen sein, nämlich der demokratischen und sozia­listischen Tradition und der radikalen grünen, feministischen und libertären Tradition.


 

[1] Siehe Konstantinos Kavoulakos, „The relationship of realism and utopianism in the theories of democracy of Jürgen Habermas and Cornelius Castoriadis“, Society and Nature, vol. 2, Nr. 3 (1994), S. 69-98.

[2] Thomas Martin, „The end of sovereignty“, Democracy and Nature (zuvor Society and Nature), vol. 3, Nr. 2 (1996).

[3] Wie vor kurzem an anderer Stelle bemerkt wurde: „Statt in erster Linie Bestandteil einer nationalen Wirtschaft zu sein, bilden Städte nun ersten Mal Teil eines Weltsystems und unterhalten manchmal engere Beziehungen untereinander als zu den Ländern, zu denen sie gehören.“ So Sir Richard Rogers in seiner Reith-Vorlesung - zitiert in The Observer, 19. Februar 1995.

[4] Siehe Murray Bookchin, From Urbanization to Cities: Towards a New Politics of Citizenship (London: Cassell, 1995), Kapitel 6; außerdem Cornelius Castoriadis, Philosophy, Politics, Autonomy (Oxford: Oxford University Press, 1991), Kapitel 7.

[5] Siehe Charlotte Raven, The Observer (30. Juli 1995).

[6] Hannah Arendt, The Human Condition (Chicago: The University of Chicago Press, 1958), S. 44-45. Hier zitiert nach der deutschen Ausgabe Vita activa oder vom tätigen Leben (München: Piper, 1967), S. 56-57.

[7] Zitiert von Neil Harding, „The Marxist-Leninist detour“, in Democracy, the Unfinished Journey, 508 BC to AD 1993, herausgegeben von John Dunn (Oxford: Oxford University Press, 1992), S. 173.

[8] Neil Harding, „The Marxist-Leninist detour“, S. 178.

[9] Anthony H. Birch, The Concepts and Theories of Modern Democracy (London: Routledge, 1993), S. 45.

[10] Anthony H, Birch, The Concepts and Theories of Modern Democracy, S. 48.

[11] Anthony H, Birch, The Concepts and Theories of Modern Democracy, S. 48.

[12] Mogens Herman Hansen, The Athenian Democracy in the Age of Demosthenes (Oxford: Blackwell, 1991), S. 81.

[13] Cornelius Castoriadis, Philosophy, Politics, Autonomy, S. 221. Für eine aufschlußreiche Analyse des Wesens der Demokratie in Athen siehe Castoriadis, Die antike griechische Demokratie und ihre Bedeutung für uns heute (Athen: Upsilon, 1986) (auf Griechisch).

[14] David Beetham, „Liberal democracy and the limits of democratization“, in Prospects for Democracy, herausgegeben von David Held (Cambridge: Polity Press, 1993), S. 55.

[15] David Beetham, „Liberal democracy and the limits of democratization“, S. 58.

[16] Isaiah Berlin, „Two concepts of liberty“, in Isaiah Berlin, Four Essays on Liberty (Oxford: Oxford University Press, 1969).

[17] Anthony H, Birch, The Concepts and Theories of Modern Democracy, S. 101.

[18] Anthony H, Birch, The Concepts and Theories of Modern Democracy, S. 102-3.

[19] Friedrich Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft („Anti-Dühring“) (Berlin: Dietz, 1973), S. 106.

[20] Leszek Kolakowski, Main Currents of Marxism, Vol. 1 (Oxford: Oxford University Project, 1981), S. 387.

[21] G.P. Maximoff (Hrsg.), The Political Philosophy of Bakunin (New York: The Free Press, 1953), S. 265.

[22] Alix Kates Shulman (Hrsg.), Red Emma Speaks (New York: Vintage Books, 1972), S. 98.

[23] William McKercher, „Liberalism as democracy: authority over freedom“, Democracy and Nature (vormals Society and Nature), Vol. 3, Nr. 2 (1996)

[24] Milton & Rose Friedman, Free to Chose (Harmondsworth: Penguin, 1980).

[25] William McKercher, „Liberalism as democracy: authority over freedom“.

[26] William McKercher, „Liberalism as democracy: authority over freedom“.

[27] Murray Bookchin, From Urbanization to Cities, S. 68. Siehe auch seinen Artikel „Communalism: the democratic dimension of anarchism“, Democracy and Nature (formerly Society and Nature), Vol. 3, Nr. 2 (1996).

[28] Mogens Herman Hansen, The Athenian Democracy in the Age of Demosthenes, S. 75.

[29] Cornelius Castoriadis, Philosophy, Politics, Autonomy, S. 164.

[30] Cornelius Castoriadis, Philosophy, Politics, Autonomy, S. 105-6.

[31] Cornelius Castoriadis, Philosophy, Politics, Autonomy, S. 76.

[32] Murray Bookchin, „Communalism: the democratic dimension of anarchism“, Democracy and Nature, Vol. 3, Nr. 2 (1996), S. 2-4.

[33] L. Susan Brown, The Politics of Individualism (Montreal: Black Rose Books, 1993), S. 11.

[34] Murray Bookchin, The Philosophy of Social Ecology (Montreal: Black Rose Books, 1995), S. 151.

[35] Bhikhu Parek, „The cultural particularity of liberal democracy“ in Prospects for Democracy, David Held (Hg.), S. 168-70.

[36] Bhikhu Parek, „The cultural particularity of liberal democracy“, S. 172.

[37] L. Susan Brown, The Politics of Individualism, S. 3.

[38] Cornelius Castoriadis, Philosophy, Politics, Autonomy, S. 121.

[39] Zu den logischen Widersprüchen der rechten libertären Strömung siehe Alan Haworth, Anti-Libertarianism: Markets, Philosophy and Myth (London: Routledge, 1994).

[40] Siehe Konstantin Kavoulakos, „The relationship of realism and utopianism in the theories of democracy of Jürgen Habermas and Cornelius Castoriadis“ in Bezug auf die politische Konzentration, und Takis Fotopoulos, „The end of socialist statism“ in Bezug auf die wirtschaftliche Konzentration, Society and Nature, Vol. 2, Nr. 3 (1994), S. 69-97 bzw. 11-68.

[41] Alan Haworth, Anti-Libertarianism, S. 37-40.

[42] Murray Bookchin, From Urbanization to Cities, S. 43. Wie Bookchin hervorhebt, „ko­existierten bis in die jüngste Zeit berufsmäßige Systeme der Herrschaft und Gewalt mit reich artikulierten Formen von Gemeinschaft an der Basis der Gesellschaft ... Formen, die sich weitgehend dem Zugriff zentralisierter staatlicher Autoritäten entzogen haben“. Ibid.

[43] Anthony H. Birch, The Concepts and Theories of Modern Democracy, S. 58.

[44] Bhikhu Parekh, The cultural particularity of liberal democracy“, S. 165.

[45] Bei Aristoteles heißt es: „... ich sage, dass die Ernennung durch das Los im allgemeinen für das Kennzeichen der Demokratie gehalten wird, während der Prozess der Wahl zu diesem Zweck als oligarchisch angesehen wird“; Aristoteles, Politik, Buch IV, 1294b, John Warrington (Hg.) (London: Heron Books, 1934).

[46] Thomas Martin, „The end of sovereignty“.

[47] Für Bookchin kann „schwerlich behauptet werden, der ‚Staat’, wie wir ihn in heutiger Zeit kennen, habe bei den Griechen existiert“ (From Urbanization to Cities, S. 43), während für Castoriadis „die Polis kein ‚Staat’ ist, da ihre explizite Macht - die Bestimmung über nomos (Gesetzgebung), dike (Rechtsprechung) und telos (Regierung) - der gesamten Körperschaft der Bürger gehört“ (Philosophy, Politics, Autonomy, S. 157).

[48] Aristoteles stellte dies in seiner Diskussion der unterschiedlichen Typen der Regierung klar: „Als nächstes fragen wir: Wer sollte der Souverän in der Polis sein. Das Volk? Die Reichen? Die bessere Art von Männern? Der beste Mann? Oder ein Tyrann?“ Aristoteles, Politik, Buch III, 1281a. Er definiert dann im weiteren die Demokratie als den Fall, in dem die freien Bürger der Souverän sind; Aristoteles, Politik, Buch IV, 1290b.

[49] Hannah Arendt, Vita activa oder vom tätigen Leben (München: Piper, 1967), S. 42-43.

[50] William McKercher, „Liberalism as democracy“.

[51] April Carter scheint dem Schluss zuzustimmen, dass direkte Demokratie keine Form von „Herrschaft“ involviert: „Die einzige Autorität, die in einer direkten Demokratie bestehen kann, ist die kollektive ‚Autorität’, welche der politischen Körperschaft verliehen wird ... es ist zweifelhaft, ob eine Gruppe von Gleichen, die durch einen Prozess der gegenseitigen Überzeugung zu Entscheidungen kommen, Autorität schaffen kann.“ April Carter, Authority and Democracy (London: Routledge, 1979), S. 380. Weiter bemerkt sie, dass ein „Eintreten für direkte Anarchie oder Anarchie in der soziopolitischen Sphäre mit politischer Autorität unvereinbar ist“, S. 69.

[52] Cornelius Castoriadis, Philosophy, Politics, Autonomy, S. 156.

[53] Εντευθεν δ’ ελήλυθε το μή άρχεσθαι, μάλιοτα μεν υπν μηδενός, ει δε μή, κατα μέρος. Και συμβάλλεται ταύτη προς την ελευθερ ίαν την κατα το ίσον’, Aristoteles, Politik, Buch VI, 1317b.

[54] Aristoteles, Politik, Buch II, 1266b, 1267a.

[55] Karl Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (Dietz, Berlin, 1974), S. 379.

[56] Siehe zum Beispiel Hindess und Hirst, Pre-Capitalist Modes of Production (London: Routledge & Kegan Paul, 1975), S. 82.

[57] Die Unterscheidung zwischen Demokraten und Oligarchen auf Basis des im Text verwendeten Kriteriums ist mit der Definition von Demokratie vereinbar, die von Aristoteles als der Fall bezeichnet wird, in dem die Regierung sich in der Hand der aus den Armen und den freien Bürger bestehenden Mehrheit befindet, und mit seiner Definition von Oligarchie als dem Fall, in dem die Regierung sich in der Hand der Minderheit der Reichen und Aristokraten befindet (Aristoteles, Politik, 1290b, 20).

[58] Mogens Herman Hansen, The Athenian Democracy on the Age of Demosthenes, S. 98.

[59] K. Paparregopoulos, History of the Greek Nation, N. Bees (Hg.) (Athen: Seferlis, 1955) Vol. A1, S. 218 (griechisch). Siehe auch Mogens Herman Hansen, The Athenian Democracy on the Age of Demosthenes, S. 108-15.

[60] Aristoteles, The Athenian Constitution, Kapitel VIII, 4.

[61] K. Paparregopoulos, History of the Greek Nation, Vol. A1, S. 217.

[62] A Prokopiou, Athens (London: Elek Books, 1964), S. 97.

[63] Aristoteles, Politik, 1284a, 20.

[64] A. Prokopiou, Athens, S. 148. Siehe auch Mogens Herman Hansen, The Athenian Democracy on the Age of Demosthenes, S. 37.

[65] Mogens Herman Hansen, The Athenian Democracy on the Age of Demosthenes, S. 97.

[66] Mogens Herman Hansen, The Athenian Democracy on the Age of Demosthenes, S. 317.

[67] K. Paparregopoulos, History of the Greek Nation, Vol. A2, S. 118.

[68] Aristoteles, Die Verfassung Athens, Kapitel XXIV, 3. Siehe auch Mogens Herman Hansen, The Athenian Democracy in the Age of Demosthenes, S. 319.

[69] K. Paparregopoulos, History of the Greek Nation, Vol. A2, S. 118.

[70] Mogens Herman Hansen, The Athenian Democracy in the Age of Demosthenes, S. 140.

[71] K. Paparregopoulos, History of the Greek Nation, Vol. A2, S. 146.

[72] K. Paparregopoulos, History of the Greek Nation, Vol. A2, S. 258-59.

[73] K. Paparregopoulos, History of the Greek Nation, Vol. A2, S. 146.

[74] Murray Bookchin, Remaking Society (Montreal: Black Rose Books, 1989), S. 50.

[75] Anthony Birch, The Concepts and Theories of Modern Democracy, S. 50.

[76] Hannah Arendt, On Revolution (London: Penguin, 1990), S. 237-38, deutsch dies., Über die Revolution (München: Piper, 1963/74), S. 305. [Der erste Halbsatz des Zitats fehlt dort - d.Ü.]

[77] John Dunn, „Conclusion“ in Democracy, the Unfinished Journey, 508 BC to AD 1993, S. 247-48.

[78] John Dunn, „Conclusion“ in Democracy, the Unfinished Journey, 508 BC to AD 1993, S. 251.

[79] Karl Marx, Kritik des Gothaer Programms (Peking, Verlag für fremdsprachliche Literatur, 1971), S. 26-27.

[80] W.I. Lenin, Staat und Revolution. Die Lehre des Marxismus vom Staat und die Aufgaben des Proletariats in der Revolution, Werke, Band 25 (Berlin: Dietz Verlag, 1974), S. 409-10.

[81] Staat und Revolution, a.a.O., S. 483.

[82] Staat und Revolution, a.a.O., S. 488-89.

[83] Murray Bookchin, The Ecology of Freedom: The Emergence and Dissolution of Hierarchy (Montreal: Black Rose Books, 1991), S. 69. Deutsch ders., Die Ökologie der Freiheit. Wir brauchen keine Hierarchien, Weinheim, Beltz, 1985, S. 106.

[84] Für eine Analyse dieser Tendenzen siehe Andrew Gamble, „Class politics and radical democracy“, New Left Review, Nr. 164 (Juli-August, 1987), S. 115.

[85] Siehe Perry Anderson, „The affinities of Norberto Bobbio“, New Left Review, Nr. 170 (Juli-August, 1988), S. 21.

[86] Ralph Miliband, „Fukuyama and the socialist alternative“, New Left Review, Nr. 193 (Mai-Juni, 1992).

[87] Jürgen Habermas, „Three normative models of democracy“, Constellations, Vol. 1, Nr. 2 (1994), S. 1-10.

[88] Cornelius Castoriadis, „La démocratie comme procédure et comme régime“, in La Montée de l’insignificance, Les Carrefours du Labyrinthe IV (Paris: Seuil, 1996), S. 221-41 (abgedruckt in Democracy and Nature (griechische Ausgabe), Nr. 1 (1996)).

[89] James O’Connor, „Democracy and ecology“, Capitalism, Nature, Socialism, Vol. 4, Nr. 4 (Dezember 1993).

[90] John Dryzek, „Ecology and discursive democracy“, Capitalism, Nature, Socialism, Vol. 3, Nr. 2 (Juni 1992), S. 37.

[91] Chantal Mouffe, „Democratic politics today“, in Dimensions of Radical Democracy, Chantal Mouffe (Hg.) (London: Verso, 1992, 1995), S. 13.

[92] Chantal Mouffe, „Democratic politics today“, in Dimensions of Radical Democracy, S. 1.

[93] Chantal Mouffe, „Democratic politics today“, in Dimensions of Radical Democracy, S. 2.

[94] Chantal Mouffe, „Democratic citizenship and the political community“, in Dimensions of Radical Democracy, S. 238.

[95] David Miller, „Deliberative democracy and social choice“, in Prospects for Democracy, David Held (Hg.) (Cambridge: Polity Press, 1993), S. 74-92.

[96] David Miller, Market, State and Community: Theoretical Foundations of Market Socialism (Oxford: Clarendon Press, 1989).

[97] David Miller, Market, State and Community, S. 10.

[98] David Miller, Market, State and Community, S. 148-49.

[99] Christopher Pierson, „Democracy, markets and capital: are there necessary economic limits to democracy?“, in Prospects for Democracy, David Held (Hg.), S. 193-94.

[100] Paul Hirst, „Associational democracy“, in Prospects for Democracy, S. 112-35. Siehe auch Paul Hirst, Associative Democracy: New Forms of Economic and Social Governance (Amherst: University of Massachusetts Press, 1994).

[101] Paul Hirst, „Associational democracy“, S. 131.

[102] Paul Hirst, „Associational democracy“, S. 128.

[103] Paul Hirst, „Associational democracy“, S. 117.

[104] Paul Hirst, „Associational democracy“, S. 125.

[105] Paul Hirst, „Associational democracy“, S. 127.

[106] Paul Hirst, „Associational democracy“, S. 130.

[107] Paul Hirst, „Associational democracy“, S. 112.

[108] Paul Hirst, „Associational democracy“, S. 113.

[109] David Held, „Democracy: from city-states to as cosmopolitan order?“, in Prospects for Democracy, S. 13-52. Siehe auch Helds jüngstes Buch Democracy and the Global Order, (Cambridge: Polity Press, 1995), in dem er den Vorschlag eines kosmopolitischen Modells der Demokratie weiter ausbaut. In diesem Buch legt der Autor, Nachdem er (S. 147) mit einer liberalen Definition von Autonomie über den Gedanken gleicher Rechte begonnen hat, die in keinerlei Beziehung zum klassischen Begriff der Autonomie und dem von mir hier entwickelten Autonomiebegriff steht, legt der Autor eine Liste von Vorschlägen vor, die denen gleichen, die ich weiter oben skizziert habe und die im Rahmen der Logik und Dynamik der internationalisierten Marktwirtschaft, die der Autor als gegeben voraussetzt, auf wenig mehr als Wunschdenken hinauslaufen.

[110] David Held, „Democracy: from city-states to a cosmopolitan order?“, in Prospects for Democracy, S. 40-41.

[111] David Held, „Democracy: from city-states to a cosmopolitan order?“, in Prospects for Democracy, S. 42.

[112] David Held, „Democracy: from city-states to a cosmopolitan order?“, in Prospects for Democracy, S. 43.

[113] Mogens Herman Hansen, The Athenian Democracy in the Age of Demosthenes, S. 308.

[114] Mogens Herman Hansen, The Athenian Democracy in the Age of Demosthenes, S. 2.

[115] Cornelius Castoriadis, Philosophy, Politics, Autonomy, S. 113.

[116] Mogens Herman Hansen, The Athenian Democracy in the Age of Demosthenes, S. 311.

[117] Cornelius Castoriadis, Philosophy, Politics, Autonomy, S. 113.

[118] Mogens Herman Hansen, The Athenian Democracy in the Age of Demosthenes, S. 320.

[119] Aristoteles, Politik, Buch 1.

[120] Mogens Herman Hansen, The Athenian Democracy in the Age of Demosthenes, S. 63.

[121] Elefterotypia (31. Juli 1995).

[122] Siehe u.a.. Noam Chomsky, The Prosperous Few and the Restless Many (Berkeley: Odonian Press, 1993), S. 18-20.

[123] Andy Anderson, Hungary 56 (London: Solidarity, 1964), deutsch ders., Der ungarische Aufstand (Hamburg: Assoziation, 197?).

[124] Janet Biehl, Rethinking Ecofeminist Politics (Boston: South End Press, 1991), S. 140.

[125] Ted Trainer, Abandon Affluence! (London: Zed Books, 1985).

[126] Pat Brewer, Feminism and Socialism: Putting the Pieces Together (Sydney: New Course, 1992).

[127] Val Plumwood, „Feminism, privacy and radical democracy“, Anarchist Studies, Vol. 3, Nr. 2 (Herbst 1995), S. 107.

[128] Val Plumwood, „Feminism, privacy and radical democracy“, S. 111.

[129] David Pepper, Modern Environmentalism (London: Routledge, 1996), S. 324.

[130] Kerry H. Whiteside, „Hannah Arendt and ecological politics“, Environmental Ethics, Vol. 16, Nr. 4 (Winter 1994), S. 355.

[131] M. Khor, Vortrag vor dem World Rainforest Movement (1. März 1992), New York, zitiert in The Ecologist, Vol. 22, Nr. 4 (Juli-August 1992).

[132] E. Ostrom, „The rudiments of a revised theory of the origins, survival and performance of institutions for collective action“, Working Paper 32 (Indiana University, Workshop in Political Theory and Political Analysis, Bloomington, 1985).

[133] Für Beweismaterial siehe The Ecologist, Vol. 22, Nr. 4 (Juli-August 1992).

[134] J. Vidal, The Guardian (16. November 1991).

[135] Siehe Will Hutton, The State We’re In (London: Jonathan Cape, 1995), Kapitel 12.

[136] Maurizio Passerin d’Entreves, „Hannah Arendt and the idea of citizenship“, in Dimensions of Radical Democracy, S. 145-68.

[137] Maurizio Passerin d’Entreves, „Hannah Arendt and the idea of citizenship“, S. 154.

 


 

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