Umfassende Demokratie:  Die Antwort auf die Krise der Wachstums-und Marktwirtschaft


TEIL II: WEGE ZU EINER FÖDERALEN UMFASSENDEN DEMOKRATIE


 

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KAPITEL 7 : Von „hier“ nach „dort“

 

Das unmittelbare Problem, dem sich die Verfechter einer umfassenden Demokratie heute gegenüber sehen, ist die Ausarbeitung einer Übergangsstrategie, die einen Zustand herbeiführt, in dem das demokratische Projekt zum vorherrschenden sozialen Paradigma wird. In diesem Kapitel mache ich einen Vorschlag für eine politische und ökonomische Strategie, die den institutionellen Rahmen für eine umfassende Demokratie schafft. Zu dieser Strategie gehört eine neue Art der Politik und parallel dazu die schrittweise Umlenkung der wirtschaftlichen Ressourcen (Arbeit, Kapital, Land) weg von der Markwirtschaft.

 

Im ersten Teil des Kapitels gebe ich eine Einschätzung zweier radikaler Strategien für soziale Veränderung, nämlich der Lebensstil-Strategie und einer ihrer Varianten, die eine Synthese der Tiefenökologie mit dem zivilgesellschaftlichen Ansatz versucht. Dann schlage ich meinerseits eine Strategie des Übergangs zu einer föderalen umfassenden Demokratie vor, die auf direkter Partizipation an der politischen und sozialen Arena basiert, wobei diese Partizipation in einer Form erfolgen muss, die eine Unvereinbarkeit zwischen dem Ziel einer umfassenden Demokratie und den Mitteln, sie zu erreichen, vermeidet. Im nächsten Abschnitt dieses Teils schlage ich einen neuen Typ der politischen Organisation vor, der ebenfalls darauf abzielt, dem Kriterium der Vereinbarkeit von Mittel und Zweck Genüge zu tun. Im letzten Abschnitt skizziere ich schließlich ein umfassendes Programm für eine gesellschaftliche Transformation.

 

Der zweite Teil des Kapitels diskutiert eine ökonomische Strategie für den Übergang zu einer wirtschaftlichen Demokratie. Auf Basis der Diskussion in Kapitel 6 verläuft die Diskussion in diesem Abschnitt entlang der Übergangsschritte, die notwendig sind, um die Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Demokratie zu schaffen. So folgen auf die Diskussion möglicher Schritte zu einer Stärkung der Selbstversorgung Vorschläge für den Übergang zu einer „demotischen“ Wirtschaft und zu einer föderalen Ressourcenallokation.

 

Einer der wichtigsten Punkte in diesem Kapitel ist, dass sämtliche hier vorgeschlagenen Strategien für politische und wirtschaftliche Veränderun­gen und die entsprechenden Übergangsprojekte nutzlos sind, wenn sie nicht Teil eines umfassenden Programms für eine gesellschaftliche Transforma­tion sind, das ausdrücklich auf die Ersetzung der Marktwirtschaft und der etatistischen Demokratie durch eine umfassende Demokratie abzielt.

 

Eine neue Art der Politik


 

Die beschleunigte Globalisierung der Marktwirtschaft geht mit einem stetigen Niedergang der repräsentativen „Demokratie“ einher, und damit ist die Politik alter Art dem Untergang geweiht. In dem Maße, wie der Staat sich zu einer wirksamen Kontrolle der Marktkräfte unfähig zeigt, also den fundamentalen Problemen von Armut, riesiger Arbeitslosigkeit, wachsender Eigentumskonzentration und gravierender Umweltzerstörung hilflos gegenüber steht, verfallen vor allem die Unterschichten und Randgruppen in Zynismus und politische Apathie. Und so werben jetzt sämtliche Parteien um die Stimmen der „Drittelgesellschaft“, also derjenigen ca. 40 Prozent, die das politische Leben letztlich bestimmen.

 

Ebenso chancenlos sind aber auch Träume von einer Demokratisierung der Zivilgesellschaft, wie sie manche „Linke“ noch am Kaminfeuer hegen mögen. Auf die Globalisierung der Marktwirtschaft folgt unausweichlich die Globalisierung der Zivilgesellschaft - will sagen, wenn es um die Grenzwerte einer gesellschaftlichen und ökologischen Kontrolle der Märkte geht, erzwingt die Konkurrenz den kleinsten gemeinsamen Nenner. Also wird die Zivilgesellschaft vorzugsweise jene Züge annehmen, die zur Marktorientierung der konkurrenzfähigsten Zweige der Marktwirtschaft passen.

 

Die Lebensstil-Strategien - eine Sackgasse

Wenn wir einmal von den Ansätzen absehen, die beim gesellschaftlichen Wandel den existierenden institutionellen Rahmen von Marktwirtschaft und liberaler Demokratie ohnehin unangetastet lassen wollen - also etwa den diversen „zivilgesellschaftlichen“ Varianten - dann stellen die Lebensstil-Stra­tegie und die Strategie des föderalen Kommunalismus die wesentlichen Strömungen für eine radikale Umgestaltung der Gesellschaft dar.

Die Lebensstil-Strategie tritt in verschiedenen Versionen auf, die jedoch alle darin übereinstimmen, dass sie sich keinesfalls in politische Prozesse, ja meist nicht einmal in gesellschaftliche Vorgänge überhaupt einmischen wollen. Kollektive Kämpfe der Arbeiterschaft, der Arbeitslosen oder anderer gesellschaftlicher Gruppen interessieren sie nicht - höchstens Grünen-spezifische Aktionen, etwa beim Tierschutz.

 

Da haben wir zunächst den Ansatz der Tiefenökologen selbst sowie diejenigen Libertären, die eine Kreuzung zwischen Tiefen- und Sozialökologie züchten wollen - so in England Peter Marshalls[1] „Libertäre Ökologie“ oder in den USA John Clarks „Öko-Kommunitarismus“. Man sucht nicht die politische oder gesellschaftliche Auseinandersetzung, sondern möchte - ausgehend vom Einzelnen und seinen Affinitätsgruppen - Beispiele für einen gesunden, vertretbaren Lebensstil auf unterster gesellschaftlicher Ebene setzen, als da wären: Gemeinwirtschaftliche Entwicklungen, „befreite Gebiete“, alternative Einrichtungen (freie Schulen, selbstverwaltete Betriebe, Wohngenossenschaften und -kommunen, Tauschringe usw.)

 

Man hat dieses Vorgehen als individualistisch kritisiert;[2] darüber hinaus ist es aber auch völlig wirkungslos, wenn es um den radikalen gesellschaftlichen Wandel geht. Es mag ja für das Entstehen einer alternativen Kultur innerhalb kleiner Bevölkerungsgruppen ganz hilfreich sein und auch die Kampfmoral der Aktiven stärken, die den Wandel unmittelbar erleben möchten. Doch angesichts der gewaltigen Machtkonzentrationen in unserer Zeit besteht nicht die geringste Chance, dass daraus die für radikale gesellschaftliche Veränderungen erforderlichen demokratischen Mehrheiten erwachsen könnten. Die entsprechenden Projekte werden entweder ausgegrenzt oder von den existierenden Machtstrukturen absorbiert (Beispiele dafür gibt es zahlreich); ihr Einfluss auf die Sozialisationsprozesse ist hingegen bestenfalls minimal. Außerdem stellen die Lebensstil-Strategien als Ein-Punkt-Bewegungen (Tierschutz usw.) ohne gesellschaftliche Transformationsziele ideale Zielscheiben für die Teile-und-herrsche-Taktik der Führungseliten dar. So stützt sich etwa die britische Regierung bei der Unterdrückung grüner Protestaktionen gern auf private Sicherheitsdienste und deren Unterschicht-Personal und setzt reguläre Polizeikräfte nur als letztes Mittel ein. Auf diese Weise verschleiert man die repressive Natur des Staates und zwingt statt dessen den Aktivisten der Grünen einen Kampf gegen - als „Sicherheitsdienst“ verkleidete - Arbeitslose und andere Randgruppen auf.[3]

 

In eine andere Richtung zielt ein Lebensstil-Vorschlag von Ted Trainer[4]: Auf den ersten Blick scheint er zwar eine Kritik an der Lebensstil-Strategie zu beinhalten, doch zielt auch er nicht auf politische, sondern auf individuelle Handlungsweisen ab. Wenn nur genügend viele Menschen lernen, ihren Lebensstil individuell zu verändern, dann, so Trainer, „verhungert der Kapitalismus“:

Wenn sich nun immer mehr Menschen auf der rechten Fahrspur einrichten, wo sie bei sparsamem Konsum zufrieden leben können, hat der Kapitalismus schon verloren. Er fürchtet nichts so sehr wie Absatzrückgänge. Mir aber kann niemand mehr Modekleidung oder Sportwagen verkaufen. Wir müssen es also für die Menschen nur zunehmend bequem und attraktiv machen, ressourcenschonend zu leben, und der Kapitalismus wird verhungern.[5]

Nun lässt sich aber gesellschaftlicher Wandel niemals außerhalb der politischen und gesellschaftlichen Handlungsfelder herbeiführen. Unsere Machtstrukturen und -beziehungen können weder durch „gute Beispiele“ noch durch Schulung oder Überredung überwunden werden. Wer Macht zerstören will, benötigt selbst eine Machtbasis. Strebt man aber eine solche Machtbasis an und will dabei die Prinzipien eines demokratischen Projekts nicht gefährden, so liegt m.E. der einzige Weg in einem umfassenden Programm für eine radikale Umgestaltung der lokalen politischen und ökonomischen Strukturen.

 

Es ist die Strategie des föderalen Kommunalismus, die eine radikale Alternative zu den Lebensstil-Strategien eröffnet und gleichzeitig nahtlos auf das demokratische Projekt zugeschnitten ist. Denn ihr Ziel ist es, „die Stadtregierungen zu transformieren und zu demokratisieren, sie in Volksversammlungen zu verwurzeln und auf föderaler Basis umzugestalten, sowie eine föderal und kommunal orientierte Regionalwirtschaft aufzubauen“[6] - anders gesagt, „einen öffentlichen Raum - politisch im athenischen Sinn - zu schaffen, der zum Staat ein wachsendes Spannungsverhältnis entwickelt und am Ende in den alles entscheidenden Konflikt mit ihm eintritt“.[7]

Zwar passen einige Teilschritte, wie sie die Lebensstil-Strategie propagiert, etwa die Kooperativen oder die lokalen Geldsysteme, durchaus zur Logik des föderalen Kommunalismus. Und doch besteht zwischen den beiden Ansätzen ein entscheidender Unterschied. Murray Bookchin hat es auf den Punkt gebracht:

Spezifische Vorschläge in Richtung auf Dezentralisierung, Kleinräumigkeit, lokale Autonomie, Gegenseitigkeit oder kommunale Strukturen ... sind per se weder ökologisch noch emanzipatorisch. Ob sie es wirklich sind, hängt vielmehr vom gesellschaftlichen und philosophischen Kontext ab, in dem sie umgesetzt werden.[8]

Unter diesem, den grundlegenden Unterschied zwischen den beiden Strategien bestimmenden „Kontext“ verstehe ich die Rolle des Individuums im Hinblick auf den gesellschaftlichen Wandel. Die Lebensstil-Strategien sehen diesen Wandel vom Lebensstil der je Einzelnen ausgehen; er soll sich am Staat und der Marktwirtschaft vorbei vollziehen, anstatt diese direkt zu bekämpfen und durch neue gesellschaftliche Institutionen zu ersetzen. Die Strategie des föderalen Kommunalismus hingegen stellt die gesellschaftliche Rolle des Individuums heraus; hier beteiligt sich der Einzelne an lokalen politischen Auseinandersetzungen wie überhaupt an den Konflikten innerhalb der Gesellschaft. Er will den gesellschaftlichen Wandel nicht durch sein „gutes Beispiel“ herbeiführen, sondern durch den Aufbau einer Föderation von Kommunen, die dem Staat so lange zusetzen, bis sie vollends seinen Platz eingenommen haben.[9] Man entgeht mit dieser Strategie nämlich nicht nur der Gefahr, ein Randphänomen zu bleiben (schließlich haben die Lebensstil-Bewegungen in 25 Jahren so gut wie keine dauerhaften Spuren in der Gesellschaft hinterlassen), sondern tappt auch nicht in die Falle einer „derart einseitigen Neigung zur individuellen Umstellung in Lebensstil und Wertesystem als dem politischen Königsweg zu durchgreifendem gesellschaftlichen Wandel, dass daraus geradezu eine Antihaltung gegenüber der bloßen Idee vom Kollektiv entsteht“[10] - wie es exemplarisch die New-Age-Bewegung vorgeführt hat.

Industrialismus und der Übergang zu einer ökologischen De­mokratie

 

Ein neuerer Versuch, „ökologische Demokratie“ über eine auf Gemeinden basierende Gesellschaft sowie über Föderationen zu definieren, hat verschiedentlich den Eindruck erweckt, er habe etwas mit dem Projekt einer umfassenden Demokratie und des föderalen Kommunalismus zu tun. Dieser Eindruck ist vollkommen falsch. Wie ich in diesem Abschnitt zu zeigen versuchen werde, hat diese Herangehensweise weder mit Demokratie noch mit föderalem Kommunalismus etwas zu tun. Sie stellt im wesentlichen eine Kreuzung von Tiefenökologie und Lebensstil-Strategie auf der einen und dem oben diskutierten zivilgesellschaftlichen Ansatz auf der anderen Seite dar.

 

Die enge Verwandtschaft dieser Herangehensweise mit der Tiefenökologie wird dadurch deutlich, dass sie das gegenwärtige sozioökonomische System statt als Marktwirtschaft oder Kapitalismus als „Industrialismus“ beschreibt. Für Roy Morrison etwa ist Industrialismus „nicht einfach“ Kapitalismus. Statt dessen definiert er Industrialismus als „System zur Maximierung der Produktion und des Konsums, aber er ist gleichzeitig mehr: Der Industrialismus ist eine Zivilisation“.[11] Des weiteren erfahren wir, der Industrialismus sei überall „durch zwei zentrale Imperative“ gekennzeichnet, nämlich die „zur Maximierung von Produktion und Konsum, und zur Maximierung von Profit und/oder Macht ... Hierarchie, Fortschritt und Technik [sind hier] zum stählernen Dreieck des Industrialismus verbunden.“[12]

 

Diese Definition macht sofort klar, dass der Autor nicht vom institutionellen Rahmen der Marktwirtschaft und der daraus folgende Wachstumswirtschaft spricht, sondern von einer „Zivilisation“ und damit von einem kulturellen Phänomen statt von einem sozioökonomischen System und seiner Ideologie. So nimmt es nicht Wunder, dass Morrison die Maximierung von Produktion und Konsums sowie die Maximierung des Profits als zwei zentrale Imperative der industriellen Zivilisation betrachtet, und nicht als Imperative, die sich aus der Dynamik der Marktwirtschaft bzw. den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen ergeben. Indem er Wachstumswirtschaft und Wachstumsideologie miteinander verwechselt, subsummiert er außerdem die Marktwirtschaft und die mittlerweile untergegangenen Regimes des „real existierenden Sozialismus“ unter ein und dieselbe Kategorie des „Industrialismus“, obwohl die Machtstrukturen in letzteren ganz andere Formen angenommen hatten als in den Marktwirtschaften. Seine Beschreibung des Phänomens der Hierarchie bestätigt den Verdacht, dass der Autor nicht von einem sozioökonomischen System spricht, sondern von etwas, was er als „ein grundlegendes Organisationsprinzip unserer Gesellschaft“ nennt bezeichnet.[13] So beschreibt er Hierarchie als „das fundamentale industrielle Ordnungsprinzip. Industrielle Hierarchien basieren nicht auf Kaste oder Klasse, sondern auf dem Erfolg bei der Erfüllung industrieller Imperative.“[14] Dementsprechend ignoriert der Autor die Tatsache, dass industrielle Hierarchien, die die Kontrolle über die Produktionsmittel ausüben, im wesentlichen die selben Ziele verfolgen wie die Eliten, die die Produktionsmittel besitzen, und übernimmt statt dessen den (inzwischen beinahe verschwundenen) Mythos von der angeblich in der Industrie herrschenden Trennung von Eigentums und Kontrolle.

 

Diese Problemstellung ist jedoch alles andere als originell. Wie es scheint, erreichen die Tiefenökologen derzeit die logischen Schlussfolgerungen ihres Ansatzes, der in der Interpretation der ökologischen Krise immer die Wichtigkeit von Wertesystemen, nicht von Institutionen, und von Wissenschaft und Technologie, nicht des Marktsystems hervorgehoben hat. Es überrascht daher kaum, dass sie mittlerweile einfach so tun, als gäbe es die Marktwirtschaft gar nicht. Darauf weist auch Janet Biehl in der Besprechung eines jüngst erschienenen Buches über die industrielle Revolution hin: „Kirkpatrick Sale definiert den Industrialismus ausdrücklich als ‚das Ethos, das die Werte und Technologien der westlichen Zivilisation in sich vereint’. Diese Subjektivierung des ‚Industrialismus’ als ‚Ethos’ schließt eine kapitalistische Komponente in Sales Industrialismus aus.“[15]

Es ist klar, dass die Tiefenökologen und Morrison mit ihrer versimpelten „historischen“ Analyse, die nicht zwischen grundlegenden Konzepten wie kapitalistischen Eigentumsverhältnissen, Marktwirtschaft und Wachstumswirtschaft auf der einen und Wachstumsideologie auf der anderen Seite unterscheiden kann, am Ende alles unter der Rubrik des „Industrialismus“ zusammenmixen, der dann angeblich die Quelle all unserer Übel ist! Daher wird die weiter oben ausgeführte Tatsache, dass sich die industrielle Revolution in einer Gesellschaft ereignete, in der sich die Produktionsmittel in Privateigentum und unter privater Kontrolle befanden, von diesem Ansatz einfach ignoriert. Ebenfalls ignoriert wird die Tatsache, dass die zusammengebrochenen Regimes des „real existierenden Sozialismus“ durchaus die Möglichkeit hatten, keine Wachstumswirtschaft aufzubauen, von dieser Möglichkeit aber dann keinen Gebrauch machten. Der Grund dafür war nicht, wie Morrison zu behaupten scheint, dass sie Industriegesellschaften aufbauen wollten und daher das umfassende System sozialer Beziehungen übernehmen mussten, wie es von der industriellen Realität gefordert wird. Es lag auch nicht an den „objektiven“ Faktoren, die ganz offensichtlich ein gewisses Maß an wirtschaftlicher Entwicklung erforderlich machten, um die Bedürfnisse der Bevölkerung dieser Länder zu befriedigen. Während diese Faktoren in der Tat eine gewisse Rolle spielten, war der Hauptgrund für die Wahl, die diese Regimes trafen, ein „subjektiver Faktor“, nämlich die Tatsache, dass die In-Eins-Setzung von Fortschritt und ökonomischem Wachstum ein wichtiger Bestandteil ihrer Ideologie war (siehe Kapitel 2).

Die Verwandtschaft dieses Ansatzes mit der Ideologie der Zivilgesellschaft und die Tatsache, dass Morrison genau wie die Anhänger der Zivilgesellschaft kein wirkliches Verständnis für Demokratie als alternativer Gesellschaftsform hat, werden auch an der Bedeutung klar, welche die politische und wirtschaftliche Demokratie sowie der Übergang zu ihnen seiner Ansicht nach haben. Die ökologische Zivilisation setzt nämlich laut Morrison „die Fähigkeit der Zivilgesellschaft zur Schaffung einer große Bandbreite freiwilliger gesellschaftlicher Formen voraus, die es demokratischen Entscheidungen erlauben, den Industrialismus auf kreative Art zu beschränken und zu transformieren“.[16] Wie die Anhänger der Zivilgesellschaft setzt Morrison den von der Marktwirtschaft und der „etatistischen“ Demokratie definierten institutionellen Rahmen als gegeben voraus. Wie er in seiner Beschreibung des Übergangs zu einer ökologischen Demokratie hervorhebt, kämpfen daher „die Zivilgesellschaft und ihre Schöpfungen nicht um die Macht, sondern setzen sich für Gemeinschaft und Freiheit ein ... ihr Ziel besteht nicht darin, die Staatsmacht zu ergreifen oder zu beseitigen oder  Marktmechanismen durch Planung zu ersetzen, sondern darin,  sowohl den Staat als auch den Markt zu transformieren.“[17] Diese von keinerlei Kenntnis der Dynamik der Marktwirtschaft und des Etatismus getrübte Herangehensweise geht also offensichtlich davon aus, dass eine neue ökologische Gesellschaft sich irgendwie aus dem gegenwärtigen institutionellen Rahmen entwickeln kann, und zwar nicht indem sie diesen bekämpft, sondern indem sie ihn umgeht!

 

In diesem Kontext ist es nicht überraschend, dass die wirtschaftliche Demokratie nicht als eine Gesellschaft ohne Markt, ohne Geld und ohne Staat definiert wird. Oder wie Morrison es formuliert: „Zu einer ökologischen oder ‚grünen’ Wirtschaft gehört ein auf Gemeinden basierender, freiwilliger Austausch auf dem Markt in Verbindung mit dezentraler, demokratischer politischer Vermittlung und Planung, die von der Basis ausgeht.“ Und um jeden Zweifel über die Bedeutung dieser wirtschaftlichen Demokratie zu zerstreuen, führt er Mondragon in Spanien, Seikatsu in Japan und Co-op Atlantic in Kanada als Beispiele für „ökologische Demokratie in Aktion“ an.[18]

 

Ebenso wird die Tatsache, dass der Autor nicht wirklich versteht, was Demokratie bedeutet, auch dadurch nur zu klar, dass er unfähig zu sein scheint, den qualitativen Unterschied zwischen der klassischen Bedeutung von Demokratie und dem zu sehen, was heutzutage als „Demokratie“ bezeichnet wird: „Die historische Bandbreite der Demokratie reicht von dem sehr unvollkommenen System Athens vor 2.500 Jahren bis zu der immer noch unvollkommenen Demokratie der USA ... und den Dutzenden von fragilen neuen Systemen auf der ganzen Welt, die vielleicht einen Neuanfang der Demokratie repräsentieren. Diese neuen Anfänge gehen auf die Durchsetzung der Zivilgesellschaft als kreativer Weg der Veränderung zurück, wie es bei der Gewerkschaft Solidarität in Polen der Fall war.“[19]

 

Entsprechend der Auffassung, die dieser Ansatz von „Demokratie“ hat, soll der Übergang zur ökologischen Demokratie nicht durch ein Programm erreicht werden, das dem gegenwärtigen institutionellen Rahmen den Kampf ansagt, sondern durch „ein Programm der Devolution der Macht, das von unten, aus der Arena der Zivilgesellschaft heraus“ in Gang gesetzt werden soll.[20] Das wäre dann eine Strategie der Machtaneignung durch die Gemeinden unter Nutzung von Gemeindeverbänden, Organisationen, Institutionen und Gemeindeunternehmen, auf die, ohne jede Machtbasis, wie durch ein Wunder das Absterben des Staates und der Marktwirtschaft folgen soll! In diesem Kontext ist es interessant zu sehen, wie sogar das Konzept der Föderation in dieser Herangehensweise verzerrt wird. So bedeutet Föderation nicht mehr, dass auf Gemeinden basierende Demokratien zu einer neue Form der gesellschaftlichen Organisation integriert werden, die an die Stelle von Staat und Marktwirtschaft tritt. Statt dessen erfahren wir, dass

eine ökologische Demokratie auf föderativer Basis organisiert ist - das dritte große Thema der Transformation der Gesellschaft. Föderation ist nicht einfach eine Frage der formalen Beziehung zwischen Regierungen. Sie geht von einem beschränkten Maß an Souveränität und Assoziierung aus. ... Föderation ist die breit angelegte Mischung sozialer Beziehungen, welche die dynamische Matrix einer ökologischen Gesellschaft bilden, und umfasst Gruppen auf allen Ebenen und aller Art. Föderationen mit Kindern werden beispielsweise Beziehungen zwischen Schulen, Elterngruppen, Krankenhäusern, Tagesstätten und kooperativen wirtschaftlichen Gruppen einschließen. Föderation bedeutet eine Vielfalt von Bündnissen.[21]

Es ist demnach klar, dass weder die von dieser Herangehensweise beschriebene Übergangsstrategie noch die Bedeutung, die sie der Demokratie selbst zuschreibt, für das Projekt einer umfassenden Demokratie relevant sind.

Eine Strategie des Übergangs zu einer föderalen umfassen­den Demokratie

Wenn wir eine neue Gesellschaft aufbauen wollen, die nicht nur die Marktwirtschaft und den Nationalstaat, sondern auch die sich derzeit herausbildenden global-quasistaatlichen Organisationsformen hinter sich lässt, dann scheint mir der einzig realistische Weg dahin in einer politischen Strategie zu liegen, die nach und nach immer mehr Menschen in eine neuartige Politik einbindet und gleichzeitig der Marktwirtschaft die ökonomischen Ressourcen (Arbeit, Kapital, Boden) entwindet. Ziel dieser Strategie des Übergangs sollten solche Veränderungen in Institutionen und im Wertesystem sein, aus denen zunächst ein Konflikt zwischen dem Staat und den neuen Institutionen entsteht und die schließlich dazu führen, dass umfassende Demokratie und ein neues demokratisches Paradigma an die Stelle von Marktwirtschaft und staatsorientierter Demokratie sowie des sie „rechtfertigenden“ gesellschaftlichen Paradigmas treten.

 

Natürlich werden sich im Übergangsstadium Züge finden, die im gesellschaftlichen Endzustand nicht mehr auftreten - beispielsweise in der Wirtschaftsordnung. Während man im Übergang bei der Gestaltung der alternativer Institutionen und Werte, die die vorhandenen, hierarchisch strukturierten Verhältnisse ersetzen sollen, von der Existenz von Marktwirtschaft und Staats-“Demokratie“ ausgehen muss, wird es in der umfassenden Demokratie keinen Staat, kein Geld, keinen Markt mehr geben. Wenn also ein bekannter Öko-Sozialist sich kritisch gegenüber einer frühen Version[22] dieser Vorschläge geäußert hat, so besteht dazu ersichtlich kein Anlass mehr. David Pepper verwechselt die vorgeschlagene Wirtschaftsdemokratie mit der Übergangsstrategie für den Weg dorthin, wenn er folgert: „Fotopoulos tritt offensichtlich für eine Geldwirtschaft ein, wie denn auch all dieses sich in den kapitalistischen Wirtschaftsvorstellungen des grünen ‚Mainstream’ wiederfindet.“[23]

 

Es stellt sich also die Frage: Mit was für einer Strategie sichern wir den Übergang zu einer umfassenden Demokratie? Wie müssen wir im demokratischen Projekt vorgehen und uns politisch organisieren? Dies wiederum führt uns auf die Frage nach der Bedeutung der Aktivitäten und Auseinandersetzungen, jeweils in Bezug auf alle Komponenten der umfassenden Demokratie, also ihrer Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Ökologie. Eine Leitlinie für diesen Übergang besteht darin, auf ein angemessenes Verhältnis zwischen Mittel und Zweck zu achten. So kann eine auf umfassende Demokratie abzielende Strategie natürlich nicht oligarchische Praktiken oder individualistische Handlungsweisen enthalten.

 

Nehmen wir als erstes jene Kollektivaktionen, die aus dem Klassenkampf zwischen den Herrschaftseliten und den Opfern der globalisierten Marktwirtschaft erwachsen. Solche Kämpfe, die den repressiven Charakter von Staatsdemokratie und Marktwirtschaft beleuchten, sollten wir bedenkenlos unterstützen, dabei aber die systembedingten Ursachen dieser Konflikte verdeutlichen. Nur dürfen wir uns dabei keinesfalls auf die bürokratischen Köpfe von Gewerkschaften und anderen herkömmlichen Organisationen verlassen, sondern auf Arbeiterversammlungen, die - miteinander verbündet - in diese Auseinandersetzungen eingreifen und sich dabei als Teil einer breiten demokratischen Bewegung im Rahmen föderierter Gemeinschaften begreifen.

 

Sodann die Aktionen an der Basis: Bildungsmaßnahmen, direkte Aktionen, gemeinwirtschaftliche Projekte, selbstverwaltete Betriebe, Wohnprojekte, Tauschringe etc. Es leuchtet ein, dass man allein damit gesellschaftlichen Wandel nicht erzielen kann. Und doch ist einiges davon im Zuge einer umfassenden politischen Strategie gut und richtig. Solche Basisaktivitäten gipfeln in der Beteiligung an lokalen Wahlen, weil diese nicht nur das wirksamste Propagandaforum für das Programm der umfassenden Demokratie darstellen, sondern Gelegenheit zur unmittelbaren, gesellschaftlich relevanten Umsetzung dieses Programms bieten.

 

Oder, anders gesagt: In der Teilnahme an Kommunalwahlen liegt nicht nur ein Element des Lernens, sondern es drückt sich darin die Überzeugung aus, dass heut zu Tage die direkte Wirtschaftsdemokratie nur auf der örtlichen Gemeindeebene in Gang gesetzt werden kann. Strategisches Ziel einer solchen Wahlbeteiligung kann also nur sein, im Gewinnen der Wahl die Macht zwar zu erringen, aber nur um sie am nächsten Tage dadurch zu neutralisieren, dass die Entscheidungsgewalt den örtlichen Machthabern entzogen und an die Volksversammlungen übertragen wird. In der Beteiligung an lokalen Wahlen liegt die Chance - die einzige demokratische -, die Gesellschaft von unten her zu verändern und nicht, wie der Staat es im Sinn hat, von oben. Wir müssen bei der Umgestaltung der Gesellschaft in der einzelnen Gemeinde beginnen, denn nur hier finden wir den sozialen und wirtschaftlichen Grundbaustein einer künftigen demokratischen Gesellschaft. Hingegen mit den Augen des Staates gesehen kann eine Gesellschaft nur von der Spitze her „demokratisiert“ werden.

 

Andererseits steht die Teilnahme an nationalen, Bundes- oder Europa-Wah­len zwar voll im Einklang mit den Zielen von Staatsanhängern, keinesfalls aber mit denen, die für eine umfassende Demokratie eintreten. Denn hier liegt die fundamentale Kluft zwischen lokalen Wahlen und Wahlen zu den übergeordneten Parlamenten: Die Ersteren sind sowohl mit dem Fernziel der umfassenden Demokratie vereinbar als auch geeignet, direkt zum Abbau von Machtstrukturen beizutragen; für die Letzteren gilt weder das eine noch das andere. Nun sieht Howard Hawkins[24] den Unterschied darin, dass nationale Wahlen nur dem Lernzweck dienen, während lokale Wahlen auch gewonnen werden können und dann den Weg für die Umsetzung des föderal-kommunalistischen Programms frei machen. Behält man jedoch das eben Gesagte im Auge, so erkennt man darin zwei Widersprüche. Zum einen ist das Endziel - die umfassende Demokratie - nicht mit der Methode, dorthin zu gelangen, vereinbar; und dies kann zu Verwirrung über den wahren Charakter der Bewegung führen, wenn nicht zu Schlimmerem. Zum anderen ist mit einer Kandidatur für ein Staatsamt notwendigerweise die Akzeptanz der Logik eines anderen Gesellschaftssystems verbunden („Ich bewerbe mich um dieses Amt, um dort eure Probleme zu lösen“). Sie steht also ihrer innersten Natur nach im Widerspruch zu der lehrenden Rolle, die ihr Hawkins zuweist („Ich will das Amt, um das ich mich bewerbe, überhaupt nicht antreten“), und setzt somit die Kandidaten dem Risiko aus, als irrelevant angesehen und gar nicht erst ernst genommen zu werden.

 

In erster Linie muss also der bottom-up-Aufbau von „politischen und ökonomischen Machtbasen des Volkes“ angestrebt werden - also basisdemokratische und wirtschaftsdemokratische öffentliche Bereiche, die sich nach und nach zu Föderationen zusammenschließen und dadurch die Grundlagen für eine neue Gesellschaft schaffen. Ich halte dies für den realistischsten Ansatz, um nicht nur hier und jetzt unsere tief greifenden gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Probleme bewältigen zu können, sondern um gleichzeitig die gegebenen Machtstrukturen zu beseitigen. Mit einem politischen Programm zur Einrichtung von Institutionen einer umfassenden Demokratie werden wir schließlich bei der Mehrzahl derjenigen Menschen auf Resonanz stoßen, die heute noch unter den Folgen der Machtkonzentration in Politik und Wirtschaft zu leiden haben:

  • Sie sind vom „öffentlichen“ Bereich ausgeschlossen, da dieser von den Berufspolitikern monopolisiert wird

  • Sie haben kein Mitspracherecht dabei, wie ihre Bedürfnisse befriedigt werden sollen, denn das besorgt der Markt

  • Ihre Lebensqualität verschlechtert sich von Tag zu Tag, da die Marktdynamik sich notwendiger Weise zu Lasten der Umwelt auswirkt.

 

Noch während die Institutionen einer umfassenden Demokratie im Entstehen begriffen sind und die Menschen zum ersten Mal in ihrem Leben ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen können, wird nach und nach der Erosionsprozess einsetzen, der unsere derzeitigen Institutionen und gesellschaftlichen Paradigmen zum Verschwinden bringen wird, und dem Volk wird eine Machtbasis zuwachsen. Dorf für Dorf, Stadt für Stadt, Region für Region wird der Kontrolle durch die Marktwirtschaft und den Nationalstaat entzogen und in die föderale Struktur der demokratischen Kommunen einbezogen. Eine duale Macht entsteht in spannungsreicher Gegenposition zum Staat. Zwar werden natürlich die herrschenden Eliten und ihre Anhänger (ohnehin nicht gerade begeistert vom Verlust ihrer vormaligen Privilegien), nachdem sich die subtileren Mittel der Beeinflussung (Massenmedien, wirtschaftlicher Druck etc.) als wirkungslos erwiesen haben, wie stets in der Geschichte versuchen, diese Privilegien unter Einsatz physischer Gewalt zu verteidigen. Doch inzwischen wird das alternative gesellschaftliche Paradigma die Hegemonie angetreten haben, und in der Sozialisation der Menschen wird jener Bruch eingetreten sein, der die Vorbedingung für die institutionelle Errichtung der neuen Gesellschaft darstellt. Die heutige „Demokratie“ wird ihre Legitimität verloren haben. In dieser Phase werden die Menschen in ihrer Mehrzahl zur Verteidigung der neuen politischen und ökonomischen Strukturen gegen die staatliche Gewalt bereit sein. Denn Bürgerinnen und Bürger, die erst einmal die echte Demokratie gekostet haben, werden sich auch durch noch so viel physischen oder ökonomischen Druck nicht davon „überzeugen“ lassen, zu den pseudo-demokratischen Organisationsformen zurückzukehren.

 

Eine politische Organisation neuer Art

 

Wenn wir eine Strategie wie die zuvor geschilderte umsetzen wollen, benötigen wir eine neuartige politische Organisation, die ihrerseits ein Spiegelbild der angestrebten Gesellschaftsstruktur sein muss. Das wird nun nicht eine der herkömmlichen Parteien sein, sondern „Demokratie in Aktion“, und ihre Aktionen werden kollektiver Natur sein und sich auf die verschiedensten Bereiche erstrecken:

  • Politik (basisdemokratische „Schatteninstitutionen“ wie Nachbarschafts­versammlungen etc.)

  • Wirtschaft (Produktions- und Distributionsbetriebe in Gemeineigentum, an der Gemeinde orientiert und von ihr kontrolliert)

  • soziale Beziehungen (Demokratie am Arbeitsplatz, im Haushalt etc.)

  • Kultur (Kunst und Medien unter Aufsicht durch die Gemeinde).

 

All dies ist jedoch kein Selbstzweck, sondern dient der durchgreifenden gesellschaftlichen Transformation jeder Kommune, in der die Wahl gewonnen wird, zur umfassenden Demokratie. So könnten etwa die lokalen autonomen Gruppen, die in ihren jeweiligen Kommunen an der umfassenden Demokratie arbeiten, Föderationen bilden. die sich über die Region, das Land, den Kontinent oder sogar über die ganze Erde erstrecken. Verbunden fühlen sich die Beteiligten nicht über ein geschlossenes philosophisches System, sondern allein über den gemeinsamen Willen, eine föderale umfassende Demokratie zu errichten. Hier sind keine „Parteikader“ am Werk, sondern die Katalysatoren für die Entstehung neuartiger Institutionen. Die Akteure sehen sich keiner politischen Organisation verpflichtet, sondern den demokratischen Institutionen selbst - oder in Bookchins Worten „nicht den politischen, sondern den gesellschaftlichen Formen“.[25]

 

Um die Demokratie aufzubauen, bedarf es eines langen Atems und breiter Unterstützung im Volk. Für Castoriadis etwa kann dieser Aufbau nur

„als Erfolg einer immensen, weltweiten Volksbewegung am Ende einer ganzen geschichtlichen Ära stehen. Denn diese Bewegung wird weit über alles hinaus gehen, was wir unter dem Namen 'politische Bewegung' kennen. Sie muss alle derzeit vorherrschenden institutionellen Charakteristika, Normen und Werte in Frage stellen ... Sie wird eine tief greifende psychische und anthropologische Transformation darstellen und neue Lebensweisen auf allen Gebieten mit sich bringen.“[26]

Aus diesem Grunde muss die neuartige politische Organisation ein möglichst breites politisches Fundament besitzen - also ein breites Spektrum radikaler Bewegungen, wozu ich Radikalökologen, Radikalfeministinnen und Autonome ebenso zähle wie libertäre Sozialisten und Linke sowie alle anderen Strömungen des demokratischen Projekts.

 

Angesichts der breiten Anlage des Projekts einer umfassenden Demokratie kann die neue Bewegung auf Unterstützung in praktisch allen Gesellschaftsschichten zählen - ausgenommen natürlich die Oberschicht und die herrschenden Eliten. Gerade die wirtschaftsdemokratischen Elemente werden ganz im Sinne der Opfer der globalisierten Marktwirtschaft sein, also jener benachteiligten 60-Prozent-Mehrheit, die sich nicht nur aus der Unterschicht und den Randgruppen - Arbeitslose, Gelegenheitsarbeiter, Teilzeitbeschäftige, Arbeiter und kleine Angestellte sowie an der Agrarindustrie gescheiterte Bauern - zusammensetzt, sondern auch diejenigen einschließt, die wie die Studenten ihren Traum von einer beruflich abgesicherten Mittelklassen-Existenz angesichts des zunehmend „flexiblen Arbeitsmarktes“ schwinden sehen. Selbst jene gar nicht so seltenen Mitglieder der oberen 40 Prozent, die es nicht in die Oberklasse geschafft haben und in ständiger Unsicherheit leben müssen, werden sich angesprochen fühlen.

 

Aber wir haben ja nicht nur mit den Klassenproblemen einer undemokratischen Wirtschaftsordnung zu kämpfen, sondern auch mit den klassenübergreifenden Problemen der Unterdrückung auf sexueller, altersbezogener, ethnischer oder hierarchischer Basis[27] sowie mit gewaltigen ökologischen Gefährdungen. Deshalb sollten wir beim Aufbau einer umfassenden Demokratie - also von Basisdemokratie, gesellschaftlicher Demokratie und ökologischer Demokratie - nicht allein auf Unterstützung bei den Opfern der Marktwirtschaft zählen, sondern auf alle, die sich von der derzeitigen Staatsraison, genannt „Politik“, abgestoßen fühlen: Arbeiter unter den hierarchischen Arbeitsplatz-Strukturen; Frauen unter den Hierarchien daheim und im Beruf; ethnische oder rassische Minderheiten unter der Diskriminierung durch die „Staats-Demo­kratie“, um nur einige zu nennen. Und nicht zuletzt die ökologische Komponente unseres Projekts muss allen aus dem Herzen sprechen, die sich um die Naturzerstörung und den Niedergang der Lebensqualität sorgen.

Die neue radikaldemokratische Bewegung auf breitester Grundlage würde nicht nur eine Synthese der bedeutendsten Bewegungen bilden, die im zu Ende gegangenen Jahrhundert für einen gesellschaftlichen Wandel eingetreten sind, sondern würde über diese hinausführen. Die derzeitige multidimensionale Krise können wir nur durch eine Bewegung überwinden, die ohne ideologische Voreingenommenheit, allein der umfassenden Demokratie verpflichtet, der beschleunigt fortschreitenden Vernichtung natürlicher Ressourcen und menschlichen Lebens entgegentritt und hier und jetzt das Reich der Freiheit zu errichten verspricht.

Generalplan zur Transformation der Gesellschaft

Ein Generalplan für den gesellschaftlichen Wandel muss ausdrücklich das oberste Ziel definieren - die Reorganisation der Gesellschaft auf eine umfassende Demokratie hin. Jedem muss klar werden, dass alle Projekte, von denen darin die Rede ist, letztlich darauf abzielen, die derzeitigen oligarchischen Strukturen durch solche der umfassenden Demokratie zu ersetzen. Der Plan beschreibt also nicht irgendeine Politik neuen Typs, sondern er ist selbst die politische Struktur, die zur umfassenden Demokratie führen soll und für die wir uns einsetzen. Genau deshalb habe ich ja oben betont, dass die mit diesem Kampf verbundenen politischen Aktivitäten sich ausschließlich auf kommunaler Ebene abspielen sollen. Hat sich erst einmal in vielen Gemeinden die neue politische Struktur herausgebildet, dann wird die Waage der Machtverteilung sich von Staat und Marktwirtschaft zu unseren Gunsten neigen, und für die Umgestaltung des Wirtschaftssystems werden die Voraussetzungen gegeben sein.

Demnach muss das Programm für den Übergang zu einer umfassenden Demokratie auf dem Felde der Wirtschaft an den unmittelbaren Bedürf­nis­sen der Menschen ansetzen, für die diese sich mobilisieren lassen:

(a) Es muss ein neues Bewusstsein für ein demokratisches Herangehen an unsere ökonomischen und ökologischen Probleme schaffen, indem es die Krise in Wirtschaft und Umwelt als systembedingt beschreibt und zu ihrer Behebung die Einführung der umfassenden Demokratie mit der Selbstversorgung der Gemeinden propagiert.

(b) Es muss konkrete Entwürfe für die wirtschaftlichen Institutionen anbieten, die zu einer umfassenden Demokratie führen sollen - Vorschläge, die auf größere wirtschaftliche Unabhängigkeit der Menschen und auf demokratische Entscheidungsverfahren im Wirtschaftsleben der Gemeinden abzielen.

Wenn es also (a) um das neue Bewusstsein geht, muss der Plan unmissverständlich Klarheit darüber schaffen, dass Armut, Arbeitslosigkeit, entfremdende Arbeit ebenso wie Umweltverschmutzung und -zerstörung und schlechte Lebensqualität sämtlich ihre Wurzeln in einem Wirtschaftssystem haben, das allein einigen nicht-repräsentativen Eliten die Macht sichert. Dabei sollte herausgestellt werden, welche Rolle die wichtigsten gesellschaftlichen Institutionen bei diesen Problemen spielen, weil etwa

  • die Zuteilung der Ressourcen über den Markt zu Unterentwicklung, Arbeitslosigkeit und Armut führt

  • das Privateigentum an den Produktionsmitteln nicht die Wirtschaftsdemokratie, sondern eine politische und ökonomische Oligarchie fördert, die überwiegende Mehrheit der Menschen ihrer Arbeit entfremdet und die Ungleichheit verewigt

  • die hierarchische Organisation der Gesellschaft - sei es auf der Makro-Ebene (Staat) oder der Mikro-Ebene (Familie, Beruf, Schule) - mit Autonomie, Freiheit und einer demokratischen Gesellschaft ganz allgemein unvereinbar ist.

Geht es (b) um die Errichtung wirtschaftsdemokratischer ökonomischer In­stitutionen, so muss der Plan verdeutlichen, warum die Voraussetzungen für wirtschaftliche Verbesserungen geschaffen werden können, sobald eine radikaldemokratische Bewegung in mehreren Kommunen die Macht erobert hat:

  • Die Gemeinde wird wesentlich unabhängiger von ökonomischen Zwängen

  • In der Wirtschaft entsteht ein demotischer Sektor, der also dem Volk selbst gehört

  • Für die Entscheidungsprozesse in diesem Sektor wie auch für die jedermann tangierenden Bereiche der lokalen Produktion, Steuern und öffentlichen Ausgaben wird ein demokratischer Mechanismus aufgebaut.

Aus dem Generalplan zur Transformation der Gesellschaft sollte also deutlich hervorgehen, dass die Bürgerinnen und Bürger erstmals über die Macht verfügen werden, in ihrer eigenen Gemeinde über ökonomische Fragen zu bestimmen. Jeder wird den Gegensatz zum heutigen Zustand spüren, wo die Bürger angeblich alle 4 oder 5 Jahre die Regierung und deren Steuerpolitik auswechseln dürfen, in Wirklichkeit aber weder eine echte Wahl haben noch bei den Berufspolitikern ihren Willen durchsetzen können. Man erkennt dies beispielsweise daran, dass die Wirtschaftsprogramme der großen Parteien so vage und allgemein formuliert sind, dass sie die Politiker konkret zu nichts verpflichten. Und über die Verwendung der aus Steuern und Kreditaufnahme stammenden Mittel durch den Staat darf die Bevölkerung schon gar nicht entscheiden.

Der Übergang zur wirtschaftlichen Demokratie


Untersuchen wir aber nun die Schritte, die während der Übergangsperiode unternommen werden könnten, um die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Demokratie zu schaffen. Diese Voraussetzungen sind in den vorangegangenen Kapiteln als Selbstversorgung der Gemeinde, demotisches Eigentum an den produktiven Ressourcen und föderale Ressourcenallokation identifiziert worden.

Selbstversorgung in der Übergangsperiode

 

Hier stellt sich die Frage, wie wir heute die Bedingungen für Selbstversorgung schaffen können, das heißt, wie wir den Übergang von „hier“ nach „dort“, von abhängigen zu selbständigen Gemeinden bewerkstelligen können? Es gibt eine umfangreiche Literatur zur lokalen wirtschaftlichen Selbstversorgung,[28] die wertvolle Fingerzeige für die Schritte liefern kann, die während einer Übergangsphase zu einer umfassenden Demokratie unternommen werden sollten. Davon abgesehen haben in letzter Zeit mehr und mehr lokale Gemeinden, die unter den Konsequenzen abhängiger Dezentralisierung leiden, begonnen, mittels Initiativen vor Ort die lokale Selbstversorgung zu ermutigen, damit örtliche Bedürfnisse mittels örtlicher Ressourcen befriedigt werden.[29] Aber während diese ganze Literatur und die entsprechenden örtlichen Bemühungen auf eine Erhöhung der Selbständigkeit abzielen, setzten sie die Marktwirtschaft und die liberale Demokratie als gegeben voraus. Eine Bewegung für eine umfassende Demokratie muss jedoch eine Übergangsstrategie für eine radikale Dezentralisierung der Macht hin zu den Kommunen entwickeln und sich dabei ausdrücklich zum Ziel setzen, den gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen institutionellen Rahmen zu ersetzen. Die folgenden Vorschläge möchten als Beitrag zu diesem Vorhaben aufgefasst werden.

 

Die grundlegenden Voraussetzungen für ein Wachsen der örtlichen wirtschaftlichen Selbständigkeit liegen in der Schaffung lokaler wirtschaftlicher Macht, und zwar in Form von:

  • finanzieller Macht,

  • steuerlicher Macht, und vor allem

  • der Macht, über die Produktion zu bestimmen.

 

Im Hinblick auf die finanzielle Macht ist im Rahmen dieses Prozesses die Etablierung eines Netzes von Gemeindebanken erforderlich. Die Etablierung eines solchen Netzes setzt jedoch voraus, dass die Bewegung für eine umfassende Demokratie bereits bei lokalen Wahlen angetreten ist und schon eine gewisse Anzahl von Gemeinden übernommen hat. Aber schon bevor es soweit ist, kann sogar auf der Ebene von einzelnen Kommunen eine Reihe von Schritten in diese Richtung getan werden.  Solche Schritte sind etwa:

  • Es könnten demotische Kreditverbände (d.h. vom demos unterstützte finanzielle Kooperativen) gegründet werden, die ihren Mitgliedern Kredite für ihre persönlichen Bedürfnisse und ihre Investitionen zur Verfügung zu stellen. Man könnte sich auch eine Erweiterung der Rolle der Kreditverbände vorstellen, so dass die Ersparnisse der Mitglieder für die örtliche Entwicklung und soziale Investitionen verwendet werden, mit anderen Worten, für Investitionen zugunsten der örtlichen Bevölkerung, um diese in die Lage zu versetzen, stabile Arbeitsplätze zu schaffen. So könnten demotische Kreditverbände zu der Basis werden, auf der in einem späterem Stadium ein Netz von Gemeindebanken aufgebaut werden könnte.

  • Eine demotische Währung (d.h., eine vom demos kontrollierte Währung) könnte eine entscheidende Rolle bei der Förderung der örtlichen wirtschaftlichen Selbstversorgung spielen, weil eine örtliche Währung die Kontrolle der wirtschaftlichen Aktivität durch die Gemeinde ermöglicht und gleichzeitig als Mittel zur Steigerung des Einkommens der Gemeindemitglieder verwendet werden könnte. Dabei ersetzt die demotische Währung nicht die nationale Währung, sondern ergänzt sie. In einem ersten Schritt könnten die heutigen LETS-Pläne [LETS = Local Exchange and Trading Systems; d.h. örtliche Austausch- und Handelssysteme, Tauschringe - d.Ü.][30] kommunalisiert werden. Später kann ein demotisches Kreditkartenschema geschaffen werden, das sich zum Ziel setzt, für die grundlegenden Bedürfnisse aller Bürger zu sorgen. So könnten Bürger freie demotische „Kreditkarten“ erhalten, bei denen das Kreditlimit durch Einkommen und Vermögen bestimmt würde (d.h. je höher das Einkommen und Vermögen des Bürgers, desto niedriger das Kreditlimit). Diese Kreditkarten könnten zur Bezahlung örtlich produzierter Güter und Dienstleistungen verwendet werden. Ein solches Schema könnte daher eine nützliche Rolle beim Übergang zu einem Gutscheinsystem spielen, das in einer umfassenden Demokratie sämtliche Währungen ersetzen würde.

 

Was die Macht zur Besteuerung angeht, sollte das Übergangsprogramm für eine umfassende Demokratie Maßnahmen für einen Übergang der Besteuerung von der nationalen auf die lokale Ebene vorsehen. Dies wäre ein grundlegender Schritt zur Schaffung der Voraussetzungen für wirtschaftliche Selbstversorgung. Sodann könnte ein neues demotisches (d.h., vom demos kontrolliertes) Steuersystem eingeführt werden, das versuchen könnte, soweit wie möglich schon im Rahmen der in der Übergangsperiode immer noch existierenden Marktwirtschaft den Grundprinzipien einer umfassenden Demokratie gerecht zu werden. So sollte sich die Steuerlast von der Besteuerung der Einkommen zur Besteuerung von Vermögen, Immobilien, Energie- und Ressourcenverbrauch und Aktivitäten verlagern, die umweltschädigend sind und soziale Kosten für die Gemeinde verursachen. Die Hauptziele des demotischen Steuersystems sollten sein:

 

  • die Finanzierung eines Programms der Kommunalisierung der örtlichen Produktionsressourcen, was Arbeitsplätze für sämtliche Bürger der Ge­meinde schaffen würde,

  • die Finanzierung eines Programms von Sozialausgaben, das für die Grundbedürfnisse aller Bürger sorgen würde, und zwar in der Form eines Grundeinkommens (dessen Umfang vom Einkommen und Vermögen der Bürger abhängt), das jedem Bürger ungeachtet seiner Arbeitsfähigkeit garantiert wird,

  • die Finanzierung institutioneller Arrangements, die zur Demokratie in den einzelnen Haushalten effektiv beitragen würden,

  • die Finanzierung von Programmen zur Ersetzung traditioneller Energiequellen durch örtliche Energiequellen, besonders natürliche (solare, Wind- usw.) Energie, was sowohl die Abhängigkeit lokaler Wirtschaften von fern gelegenen Zentren als auch die auf Energieverwendung zurückgehende Beeinträchtigung der Umwelt minimieren würde, und

  • parallel dazu die wirtschaftliche Bestrafung der antiökologischen Aktivitäten von in den Gemeinden ansässigen Zweigen und Niederlassungen der Großkonzerne.

Diese Maßnahmen werden insgesamt eine Umverteilung der wirtschaftlichen Macht innerhalb der Gemeinde im Sinne größerer Gleichheit in der Verteilung von Einkommen und Vermögen bewirken. Verbunden mit der Einführung der demokratischen Planungsprozeduren (siehe S. 298) sollte dies wesentlich zum Übergang zu voller wirtschaftlicher Demokratie beitragen.

Im Hinblick auf die enorm wichtige Macht, zu bestimmen, was produziert wird, sollten umfassende Programme mit konkreten Vorschlägen für Veränderungen ausgearbeitet werden, die in der wirtschaftlichen Struktur jeder Kommune erforderlich sind, um die Ziele einer wirtschaftlichen Demokratie zu erreichen. Eine Strategie des Übergangs zu einer größeren Selbstversorgung würde bedeuten, dass die Mitglieder der Gemeinde mehr für sich selbst und für einander produzieren und Güter, die außerhalb der Gemeinde produziert werden, durch lokal produzierte Güter und Dienstleistungen ersetzen. Man könnte örtlichen Händlern finanzielle Anreize bieten, lokal produzierte Güter und Dienstleistungen zu führen, und die Bürger durch solche Anreize zum Kauf stimulieren. Dadurch würden lokale Produzenten wie Bauern und Handwerker ermutigt, für den örtlichen Markt zu produzieren und zu verkaufen, wodurch die Gemeinden der Fesselung durch die Großproduzenten und -händler entgehen könnten.

Aber die Schaffung von demotischen (d.h. im Besitz des demos befindlichen) Unternehmen  im Bereich von Produktion und Distribution würde in dieser Phase des Übergangs zu einer umfassenden Demokratie nur dann eine politische Bedeutung haben, wenn diese Unternehmen konstitutiver Teil eines umfassenden politischen Programms für eine radikale gesellschaftliche Umgestaltung sind. Oder wie Murray Bookchin es in Bezug auf sein Programm des Föderalen Kommunalismus ausgedrückt hat:

Außerhalb eines libertär-kommunalistischen Kontextes und einer politischen Bewegung, die in Form einer Doppelmacht gegen die Konzerne und den Staat auf die Durchsetzung revolutionärer kommunalistischer Ziele gerichtet ist, sind Nahrungsmittelkooperativen wenig mehr als wohltätige Unternehmen, die der Kapitalismus und der Staat ohne Angst vor einer Herausforderung leicht tolerieren können.[31]

Halten wir fest, dass das Wiederaufleben der lokalen Wirtschaft im Kontext größerer nationaler und supranationaler Gebilde eine entscheidende Rolle nicht nur für die Grundlegung wirtschaftlicher Demokratie, sondern auch für die Umstrukturierung der wirtschaftlich schwachen Regionen spielen könnte. Nur die Schwächung der Abhängigkeit dieser Regionen von den metropolitanen Zentren würde die Entstehung eines neuen Produktions- und Konsummodells erlauben, das mit dem wirtschaftlichen Potential jeder Region vereinbar ist. So stellt zum Beispiel für ein Land wie Griechenland die Wiederbelebung der lokalen Wirtschaft heute den einzigen Ausweg aus der wirtschaftlichen Krise dar, die durch das historische Versagen von Etatismus und Privatinitiative entstanden ist, die beide keine moderne produktive Struktur schaffen konnten, die in der Lage wäre, die Grundbedürfnisse des Landes zu erfüllen, ohne dabei einen großen Teil der Bevölkerung, besonders der Jugend, zu Arbeitslosigkeit und Emigration zu verurteilen.[32]

 

Schließlich sollte zu einer auf größere Selbstversorgung gerichteten Strategie auch die Schaffung eines demotischen (d.h., unter Kontrolle des demos stehenden) Sozialsystems d.h. gehören. Die Verlagerung wichtiger sozialer Dienstleistungen (Bildung, Gesundheit, Wohnungen usw.) auf die Ebene der Kommunen ist heute, wo der Wohlfahrtsstaat in Trümmern liegt und immer mehr durch Sicherungsnetze für die ganz Armen und parallel dazu durch die Förderung privater Vorsorge für die Grundbedürfnisse ersetzt wird, von besonderer Bedeutung. Dabei sollte die Verwendung lokaler produktiver Ressourcen für diese Dienstleistungen maximiert werden, um Arbeitsplätze und Einkommen vor Ort zu schaffen, aber auch, um die Abhängigkeit von außen drastisch verringern zu können. Ein umfassendes demotisches Sozialsystem, zu dem auch das Angebot sozialer Dienstleistungen auf höherem Niveau (tertiäre Bildung, große Krankenhäuser usw.) gehört, könnte nur über die Zusammenarbeit mehrerer Kommunen geschaffen werden und damit zugleich die Basis eines föderalen Sozialsystems sein. Ein demotisches Sozialsystem wird nicht nur weniger anfällig für Bürokratisierung sein, sondern aufgrund seines geringeren Umfangs und seiner einfacheren Handhabung durch Bürger, die voll und ganz über ihre lokalen Probleme informiert sind, weitaus effektiver zu verwalten sein als das etatistische Sozialsystem. Da die Kommunalisierung der sozialen Dienstleistungen Bestandteil eines Programms zur Stärkung der individuellen und sozialen Autonomie ist, wird es außerdem auch keine neue Kultur der Abhängigkeit schaffen.

 

Der Übergang zu einer „demotischen“ Wirtschaft

 

Die Schaffung eines demotischen Wirtschaftssektors ist ein entscheidender Schritt beim Übergang zu einer umfassenden Demokratie, nicht nur aufgrund der Bedeutung dieses Sektors für die wirtschaftliche Demokratie, sondern auch, weil die Etablierung selbstverwalteter produktiver Einheiten die Grundlage für die Demokratie am Arbeitsplatz bildet. Ein demotischer Sektor würde neue kollektive Formen des Eigentums einschließen, die die Kontrolle über die Produktion nicht nur durch die Arbeitskräfte in den Produktionseinheiten, sondern auch durch den demos sicherstellen würden. Die produktiven Einheiten könnten sich im Besitz des demos befinden und von den Arbeitern, die in diesen Einheiten arbeiten, verwaltet werden, während ihr technisches (für Vermarktung, Planung usw. zuständiges) Management spezialisiertem Fachpersonal übertragen werden könnte. Die Gesamtkontrolle über die demotischen Unternehmen sollte jedoch den Gemeindeversammlungen zustehen, die ihre Produktions-, Arbeitsmarkt- und Umweltpolitik überwachen würden. So könnten die Gemeindeversammlungen als Schritt des Übergangs zu einer wirtschaftlichen Demokratie die Entscheidung treffen, die Lohnunterschiede der Arbeitenden in den demotischen Unternehmen drastisch zu reduzieren.

 

So würden die neuen Formen der Produktionsorganisation und des Kollektiveigentums nicht nur die Vorbedingungen für wirtschaftliche Demokratie schaffen, sondern auch das „allgemeine soziale Interesse“ fördern - ganz im Gegensatz zu den Teilinteressen, die von den sozialen Klassen und Gruppen der hierarchisch organisierten Gesellschaftssysteme unvermeidlich verfolgt werden. Daher besteht die Antwort auf das wirtschaftliche Scheitern der sozialistischen Unternehmen nicht in der neoliberalen (sozialdemokratisch verbrämten) Privatisierung der Unternehmen, sondern in ihrer Kommunalisierung. Die Etablierung einer Reihe demotischer Unternehmen, die dem demos gehören und die er (über die Gemeindeversammlungen) zusammen mit den dort arbeitenden - und in Betriebsversammlungen organisierten - Menschen kontrolliert, würde lokale Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen und das örtliche Einkommen erhöhen. Gleichzeitig geschähe dies unter Bedingungen, die folgende Punkte sicherstellen:

  • wirtschaftliche Demokratie im Sinne demokratischer Partizipation an der Verwaltung dieser Unternehmen,

  • Demokratie am Arbeitsplatz ohne institutionalisierte hierarchische Strukturen,

  • Sicherheit des Arbeitsplatzes und

  • ökologisches Gleichgewicht.

 

Die beiden wichtigen Fragen im Hinblick auf die Kommunalisierung der Wirtschaft in der Übergangsperiode sind, erstens, wie sich solche demotischen Unternehmen etablieren lassen, und zweitens, wie sie verwaltet werden sollen, bis sie zu Bestandteilen einer echten wirtschaftlichen Demokratie geworden sind.

 

Was die Frage der Schaffung demotischer Unternehmen angeht, könnte dies durch eine Kombination von Methoden erreicht werden. Einige davon könnten eingesetzt werden, noch bevor Anhänger eines Programms für umfassende Demokratie in der Kommune die Oberhand gewinnen. Community Land Trusts (Landtreuhandschaften der Gemeinde) etwa sind zum eine sinnvolle Methode zur Beschaffung finanzieller Mittel für den Kauf von Land, das kollektiv verwaltet werden soll. Dabei wird der Wert des Landes selbst als Sicherheit verwendet. Solche Treuhandschaften wurden bereits an mehreren Orten in Verbindung für die Gemeindeentwicklung nutzbar gemacht.[33]

 

Andere Maßnahmen können dagegen erst nach der erfolgreichen Betreitung lokaler Wahlen effizient angewendet werden. So ist ein wichtiger Schritt zur Etablierung eines demotischen wirtschaftlichen Sektors die Schaffung eines Netzes demotischer Bankkooperativen wie etwa des sehr erfolgreichen baskischen Netzes der Caja Laboral Popular in Spanien,[34] das die Mondragon-Kooperativen unterstützt. In Spanien ist dieses Netz nicht Eigentum der Kommunen, sondern wurde von den Kräften gegründet, die an der Schaffung der Kooperativenbewegung beteiligt waren - ein Verfahren, das es fraglich macht, ob ein solches Schema wirklich wünschenswert ist, aber auch, ob es sich außerhalb der stark nationalistischen baskischen Gemeinde in Mondragon überhaupt durchführen lässt. Vielleicht wäre es gangbarer und auch wünschenswerter, wenn die Kommunen, die von den Anhängern einer umfassenden Demokratie kontrolliert werden, ein Netz von Banken schaffen, das im Besitz der Kommunen ist und unter ihrer Kontrolle steht. So könnte jede Kommune ihre eigene demotische Bank haben, die wiederum in ein regionales und dann ein föderales Netz integriert werden könnte. Ein solches Netz könnte verwendet werden, um:

 

  • örtliche Ersparnisse zu absorbieren, die von diesem Netz angezogen würden, weil die Sparer in der Lage wären, den Charakter der Investitionsaktivitäten des Netzes zu kontrollieren. Diese Kontrolle würde - in Zusammenarbeit mit der Versammlung der Angestellten der Bank - von den Gemeindeversammlungen ausgeübt, um dafür zu sorgen, dass die Ersparnisse in Projekte gesteckt werden, die sich die lokale Entwicklung, die Maximierung der örtlichen Beschäftigung, die Begrenzung der umweltschädlichen Auswirkungen der Produktion usw. zum Ziel setzen.

  • Investitionen in moderne Produktionseinheiten zu finanzieren, die das Ziel verfolgen, auf lokaler Ebene soziales Vermögen zu schaffen und so die Abhängigkeit der lokalen Wirtschaft von äußeren Zentren zu vermindern. So würden die Erträge örtlicher Besteuerung nicht nur zur Finanzierung von Infrastrukturprojekten und örtlichen sozialen Dienstleistungen verwendet werden, sondern auch - über das Netz der demotischen Banken - von Investitionen in neue (oder den Kauf alter) Produktionseinheiten, die in den demotischen Wirtschaftssektor eingegliedert werden sollen. Der größte Teil des Anfangskapitals zur Etablierung der demotischen Unternehmen müsste daher aus den Ersparnissen der Gemeinde kommen, die durch das Netz der demotischen Banken an Gruppen von Bürgern verliehen werden würden, die bereit wären, Gemeindekooperativen zu etablieren.

  • weitere spezialisierte Dienstleistungen anzubieten, welche die Gründung und den Betrieb dieser demotischen Unternehmen durch jede daran interessierte soziale Gruppe der Gemeinde ermöglichen würde, die vielleicht nicht unbedingt das erforderliche Fachwissen dazu hat (wie z.B. Arbeiter von bankrotten Unternehmen, Arbeitslose, Niedriglohnempfänger usw.). Information ist heute ohnehin schon weitgehend dezentralisiert. So hat sich zum Beispiel in der Emilia-Romagna in Italien ein ganzes Netz von Zentren entwickelt, die fachliche Dienstleistungen für kleine Unternehmen (von der Vermarktung bis zur industriellen Forschung usw.) anbieten, während in Japan im Rahmen des Kohsetsushi-Systems jede Stadt ihr eigenes, auf Kleinunternehmen ausgerichtetes Zentrum für Forschung und angewandte Technologie besitzt.[35]

 

Die demotische Bank könnte Forschungsarbeit zu der Frage leisten, welcher Typ Produktionseinheiten in der örtlichen Gemeinde etabliert werden sollte. Es ist klar, dass die Koordination von Investitionsprogrammen und die Forschungsarbeit für die Sektoren, in denen die neuen Produktionseinheiten entstehen sollten, nicht durch Privatinitiative bewerkstelligt werden können, da dafür eine generelle Kenntnis der wirtschaftlichen Daten und Bedürfnisse erforderlich ist. Tatsächlich ist der fragmentierte Charakter der privaten Investitionen der Hauptgrund für den ungleichmäßigen Charakter der kapitalistischen Entwicklung. Die Forschung, die sich mit den Produktionseinheiten, in die die örtlichen Investitionen fließen sollten, und mit ihrer geographischer Verteilung (dem Potential lokaler Wirtschaften zur Materialisierung der Einheiten) beschäftigt, könnte daher in einer ersten Phase von den Forschungszentren des Netzes demotischer Banken und später dann von der Föderation der Gemeinden betrieben werden. Die Kriterien für ein solches Forschungsprogramm sollten nicht die engen technokratischen ökonomischen Kriterien sein, die auf Effizienz basieren, sondern alternative Kriterien, die die Maximierung der lokalen Beschäftigung und lokalen (und im übrigen auch föderalen) wirtschaftlichen Selbstversorgung und Produktivität sowie die Minimierung der umweltschädlichen Auswirkungen der Produktion zum Ziel haben. So muss eine Form der gesellschaftlichen Einschätzung von Investitionen und der gesellschaftlichen Rechenschaftslegung eingeführt werden, um spezifische Investitionsvorschläge zu bewerten und weiter zu verfolgen sowie die Schaffung gesellschaftlichen Reichtums insgesamt zu bewerten. Daher müssen auf Basis zur Zeit bereits in Entwicklung befindlicher Indikatoren[36] anstelle der heutigen Maßstäbe für Lebensqualität neue wirtschaftliche Indikatoren verwendet werden. Und schließlich sollte die demotische Bank spezielle Dienstleistungen für die Planung der Produktion, den Bau der Fabrik, die Ausbildung der Arbeitskräfte, die Systeme der Rechnungsführung usw. bereitstellen.

 

Zur Frage, wie diese demotischen Unternehmen während der Übergangsperiode betrieben werden sollten, meine ich, dass Formen der Selbstverwaltung wie die Kooperativen jugoslawischen Typs und der Employee Stock Ownership Plan (ESOP; „Plan zur Anteilsbeteiligung der Beschäftigten“), die wie die erste dem Staatssozialismus oder wie die zweite der Marktwirtschaft zuneigen, nicht in Betracht gezogen werden sollten. Im jugoslawischen System der Selbstverwaltung befanden sich sämtliche Kapitalinvestitionen im Besitz des Staates, nicht im Besitz des Unternehmens selbst. Es gab für die Arbeiter keinerlei Anreiz, in die Kapitalbasis der Fabrik zu investieren, und das Ergebnis war, dass die Produktivität stark litt. Auf der anderen Seite haben wir bei Organisationsformen wie dem ESOP ein System indirekten Arbeitereigentums, das auf einer Art Pensionsplan der Beschäftigten basiert statt auf einer Demokratie am Arbeitsplatz. So basieren die Wahlen auf der Anzahl der Aktien, die den jeweiligen Beschäftigten gehören, und nicht auf der demokratischen Formel „eine Stimme pro Person“. Das ganze System läuft daher auf eine perfekte kapitalistische Aktiengesellschaft hinaus, und der einzige Unterschied zu anderen Unternehmen besteht darin, dass diese Form die Arbeiter in Kapitalisten verwandelt, die Anteile an der Firma besitzen.

 

Die demotischen Unternehmen sollten weder die bürokratische Struktur sozialistischer Kooperativen reproduzieren, noch genauso aussehen wie kapitalistische Firmen. Auch über die Frage des Eigentums (das dem demos statt den Kapitalisten oder dem Staat gehört) hinaus sollte sich die gesamte Struktur und Funktionsweise der Unternehmen sowohl von der kapitalistischer als auch der staatssozialistischer Firmen unterscheiden. Es sollte also so viel Dezentralisierung verwirklicht werden wie möglich, um die Bürokratisierung der Unternehmen zu verhindern, aber auch, um den in ihnen arbeitenden Menschen im Rahmen der durch die Ziele der Gemeinde abgesteckten Beschränkungen so viel Autonomie wie möglich zu garantieren.

Möglicherweise ist die Dezentralisierung der Entscheidungen im Rahmen von Kooperativen, die sich im Besitz der Gemeinde befinden, aber unabhängig von ihr verwaltet werden, die beste Lösung. Das heißt, die Gemeindeversammlung könnte soziale und ökologische Ziele für das demotische Unternehmen (wie den Anteil der Einkünfte, der für die sozialen und ökologischen Ziele der Gemeinde, die angestrebten ökologischen Normen, die Arbeitsplatzsicherheit usw. reserviert wird) festlegen, während das Unternehmen selbst wie eine Mondragon-Kooperative verwaltet werden könnte - wobei einige wichtige Ergänzungen seine Strukturen demokratischer machen würden. Eine Möglichkeit zur Bewerkstelligung eines so hohen Grads der Dezentralisierung von Entscheidungen wäre ein Leasing der demotischen Unternehmen an die Kollektive der Beschäftigten durch die Gemeindeversammlungen.

Das Problem der Managementstruktur wird im allgemeinen als Konflikt zwischen verwaltungstechnischer Effizienz und Demokratie für die Mitarbeiter formuliert. Bei der Kooperative vom Mondragon-Typ liegt das Schwergewicht auf Effizienz statt auf Demokratie. Dementsprechend spielt die Vollversammlung nur eine begrenzte Rolle und wählt nur ein Drittel der Mitglieder des Aufsichtsrats, der seinerseits die Manager auswählt. Die Vollversammlung der Arbeiter tritt maximal ein bis zweimal jährlich zusammen. Wenn man diese Mechanismen modifizierte, könnte die Vollversammlung die Hälfte der Mitglieder des Aufsichtsrats wählen, um den Interessen der Beschäftigten Ausdruck zu geben, während die andere Hälfte von der Gemeindeversammlung gewählt werden könnte, um das allgemeine Interesse der Gemeinde zum Ausdruck zu bringen. Bei den Aufsichtsratsmitgliedern sollte es sich um Menschen handeln, die über Fachwissen hinsichtlich des jeweiligen Typs produktiver Aktivität verfügen, um die Manager des Betriebs wirksam überwachen zu können. Die Versammlungen, die sie gewählt haben, sollten sie jederzeit abwählen können. Der Aufsichtsrat selbst würde die Betriebsleitung auswählen und überwachen, die ihrerseits aus Personen bestehen würde, die im betreffenden Gebiet über Fachwissen verfügen. Die Autorität der Manager würde sich auf ihr Wissen gründen, und daraus folgt, dass abgesehen von dem Einfluss, den sie aus ihrem Wissen beziehen, keine hierarchische Machtposition gegenüber den einfachen Arbeitern geduldet werden dürfte. Außerdem würde die Betriebsversammlung - die sich häufiger treffen sollte als die Mondragon-Vollversamlung - festlegen, welche Entscheidungen von ihr selbst getroffen würden und welche an den Aufsichtsrat und die Manager delegiert werden sollten, um ein Gleichgewicht zwischen Effizienz und Demokratie zu erreichen.

Dabei sollten wir nicht vergessen, dass dieser Typ von demotischem Unternehmen nur für eine Übergangsperiode - bis die Wirtschaft vollständig kommunalisiert ist - von Nutzen ist, da er an einem ernsten Mangel leidet: Ungeachtet der hier vorgeschlagenen Vorkehrungen zugunsten einer Befriedigung des Gemeininteresses würde die bloße Tatsache, dass diese Firmen sich in einem System der Marktwirtschaft beständig unter dem Konkurrenzdruck kapitalistischer Firmen befinden würden, in der Tendenz dazu führen, dass dem Partikularinteresse der Beschäftigten vor dem Gesamtinteresse der Gemeinde der Vorrang eingeräumt würde. Der entsprechende Gemeinschaftsgeist ist eine wichtige Vorbedingung für die Gründung und das soziale Funktionieren dieser Kooperativen; die Mitglieder der demotischen Unternehmen sollten daher genügend derartigen Gemeinschaftssinn besitzen. Ein weiteres wichtiges Problem der demotischen Unternehmen ist, dass sie nicht unbedingt in der Lage sein werden, der Konkurrenz, besonders von Seiten kapitalistischer Firmen, die den Vorteil großer Dimensionen und eines bedeutenden Produktivitätsvorsprungs genießen, standzuhalten. Meiner Ansicht nach wird dieses Problem jedoch in einer selbstversorgenden Wirtschaft, in der demotische Unternehmen ihre Aktivitäten in erster Linie am lokalen Markt ausrichten, einen Großteil seiner Bedeutung verlieren. Dies gilt umso mehr, wenn wir daran denken, dass die soziale Verantwortlichkeit und die Befriedigung, die aus der Selbstversorgung und der demokratische Kontrolle erwachsen, Garantien für Produktqualität sind. Außerdem ist die Erwartung nicht unrealistisch, dass die neuen politischen und wirtschaftlichen Institutionen ein neues Bewusstsein schaffen würden, das die Anfälligkeit der Bürger für rein wirtschaftliche Anreize verringern würde.

Ein wichtiger Unterschied solcher demotischer Unternehmen zu Kooperativen des Mondragon-Typs, der sie in Produktionseinheiten verwandeln würde, die tatsächlich zum Übergang zu einer umfassenden Demokratie beitragen würden, würde darin bestehen, darin, dass sie lokale Ressourcen verwenden und ausschließlich für den lokalen Markt produzieren würden. Wenn sie statt dessen wie derzeit die Mondragon-Kooperativen beginnen würden, für den großen Markt außerhalb der Gemeinde zu produzieren, würde das einen Prozess in Gang setzen, der mit ihrer Absorbierung durch die Marktwirtschaft enden würde, selbst wenn diese Unternehmen sich dann formal immer noch als Kooperativen bezeichnen würden. Wie sogar ein enthusiastischer Anhänger feststellen muss, hat der durch Spaniens EU-Integration erzeugte Konkurrenzdruck im Fall der Mondragon-Unter­neh­men zu einer „verstärkten Integration von Gruppen von Kooperativen mit dem Ziel größerer Konkurrenzfähigkeit gegenüber transnationalen Wettbewerbern“ geführt. Weitere Ergebnisse seien „die Ausdehnung der sehr erfolgreichen Kooperativen im Einzelhandel über die baskische Region hinaus im Rahmen von Joint Ventures mit anderen Kooperativen und gemeinnützigen Vereinen, die den Arbeitern nicht unbedingt sofort die Mitgliedschaft erlauben, und die Vergrößerung der Lohnspreizung innerhalb der Kooperativen, um ausgebildete Techniker und Manager anzuziehen“ usw.[37]

 

Demnach ist klar, dass demotische Unternehmen nur dann erfolgreich sein können, wenn sie Teil eines umfassenden Programms zur Kommunalisierung  der Wirtschaft sind - eines Programms, dessen konstitutive Elemente Selbstversorgung, demotisches Eigentum und die Allokation der Ressourcen durch die Gemeinde sind. Ziel dieses Prozesses ist es, nach und nach immer mehr menschliche und materielle Ressourcen aus der Marktwirtschaft in die neue „demotische“ Wirtschaft umzulenken, die dann die Basis einer umfassenden Demokratie bilden kann. Am Ende dieses Prozesses würden die demotischen Unternehmen die Wirtschaft der Gemeinde kontrollieren und würden in die Föderation der Gemeinden integriert werden, die dann dazu übergehen könnte,  die großen in Privatbesitz befindlichen Firmen zu kaufen oder zu enteignen

 

Der Übergang zu einer föderalen Ressourcenallokation

Das fundamentale Problem der Strategie, die zu einer föderalen Ressourcenallokation führen soll, besteht in der Frage, wie man institutionelle Bedingungen für wirtschaftliche Demokratie schaffen soll, die mit einem institutionellen Rahmen vereinbar sind, der immer noch unter dem Diktat der Marktwirtschaft steht. Wie im vorigen Kapitel beschrieben, sieht das System der föderalen Ressourcenallokation zwei grundlegende Mechanismen der Ressourcenallokation vor: (a) einen demokratischen Planungsmechanismus für den größten Teil der makroökonomischen Entscheidungen, und (b) ein Gutscheinsystem für den größten Teil der mikroökonomischen Entscheidungen. Das Gutscheinsystem schafft die Bedin­gungen für Wahlfreiheit, indem der wirkliche Markt durch einen künstlichen ersetzt wird. Natürlich kann das Gutschein­system nicht vor der Etablierung einer vollständigen wirtschaftlichen Demokratie in Form einer Föderation der Gemeinden eingeführt werden, obwohl, wie wir gerade gesehen haben, auch schon vorher Schritte in diese Richtung getan werden können. Das demokratische Planungs­system könnte jedoch bereits in der Übergangsperiode eingeführt werden, obwohl sein Spielraum für Entscheidungen natürlich durch die Marktwirtschaft scharf beschränkt wäre. Dennoch könnte dieses Planungssystem nützlich sein, um die Menschen an wirtschaftliche Demokratie zu gewöhnen und gleichzeitig die Vorbedingungen für individuelle und soziale Autonomie zu schaffen.

Aber wenn ein demokratischer Mechanismus bedeutsam sein und Bürger dazu bringen soll, sich an den Entscheidungen zu beteiligen, müssen die Entscheidungen, die mit seiner Hilfe gefällt werden, auch wichtig sein. Der Fall des klassischen Athen zeigt, dass es, wenn diese Bedingung erfüllt ist, nichts Unmögliches daran ist, Tausende von Menschen zur praktischen Ausübung ihrer bürgerlichen Rechte zu veranlassen. Dementsprechend stellt Hansen fest: „Das Ausmaß an politischen Aktivität, das die Bürger Athens an den Tag legten, ist im Hinblick auf die Zahl der Beteiligten und die Häufigkeit und das Niveau der Beteiligung beispiellos in der Weltgeschichte ... eine Versammlung wurde normalerweise von 6.000 Bürgern (von 30.000 männlichen Bürgern über achtzehn) besucht; an einem gewöhnlichen Gerichtstag wurden etwa 2.000 Bürger durch das Los ausgewählt, und außer den 500 Mitgliedern des Rats gab es noch 700 weitere Amtsträger.“[38] Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass der demos während des Übergangs zu einer umfassenden Demokratie wesentliche Machtbefugnisse erhält, die ihn zum Zentrum eines kohärenten lokalen Systems für Steuern, Ausgaben und Finanzpolitik machen würden. Dann könnten die Gemeindeversammlungen (oder, in den großen Städten, in Gemeindeversammlungen zusammengeschlossene Stadtteilversammlungen) die Befugnis erhalten, Entscheidungen zum wirtschaftlichen Leben der Gemeinde zu treffen, die vom Stadtrat oder anderen relevanten Körperschaften umgesetzt würden, nachdem sie in Körperschaften von abwählbaren Delegierten umgewandelt worden sind.

So würde der Übergang des Besteuerungsrechts auf die Kommunen, der eine grundlegende Forderung demokratischer Bewegungen sein sollte, es den Gemeindeversammlungen erlauben, die Höhe der Steuern und die Art ihrer Erhebung auf Einkommen, Vermögen, Land- und Energieverbrauch sowie Konsum festzulegen. Die Gemeindeversammlungen könnten in jährlichen Abständen zusammentreten, um verschiedene Vorschläge zur Steuerhöhe und zur Verteilung des von der Kommune eingenommenen Geldes für das jeweils kommende Jahr zu diskutieren. So würden die Gemeindeversammlungen beginnen, soweit sie ihre eigenen Gemeinden betroffen sind, die steuerlichen Rechte des Staates zu übernehmen, wobei sie in der Übergangsperiode bis zur Ersetzung des Staates durch die Föderation der Gemeinden noch dem Recht des Staats auf Steuererhebung unterworfen wären.

Ähnliche Maßnahmen können in bezug auf die heutigen staatlichen Befugnisse über die finanzielle Ressourcenallokation getroffen werden. Die Einführung eines demotischen Banksystems in Verbindung mit demotischen Währungen wird den Gemeindeversammlungen in beträchtlichem Maß ermöglichen, im Rahmen der Realisierung der Ziele der Gemeinde (Schaffung neuer Unternehmen, Erreichen ökologischer Ziele usw.) über die Allokation der finanziellen Ressourcen zu bestimmen.

Und schließlich würden die Versammlungen bedeutende Befugnisse über die Festlegung der Ressourcenallokation im kommunalisierten Sektor der Gemeinde, d.h., im Bereich der demotischen Unternehmen und des demotische Sozialsystems, besitzen. In einem ersten Schritt könnten die Gemeindeversammlungen ein System von Gutscheinen für den Bereich sozialer Dienstleistungen einführen. Später, sobald eine größere Zahl von Gemeinden der Föderation umfassender Demokratien beigetreten sind, könnten die Gemeindeversammlungen das Gutscheinsystem dergestalt ausdehnen, dass es die Grundbedürfnisse aller Bürger abdeckt - anfangs parallel mit der Marktwirtschaft, solange, bis letztere überhaupt keine Rolle mehr spielt.

Zum Abschluss möchte ich darauf hinweisen, dass niemand die Illusion hegen sollte, die Realisierung einer Übergangsstrategie zu wirtschaftlicher Demokratie werde nicht auf den Widerstand der Eliten stoßen, die die Kontrolle über die Staatsmaschinerie und die Marktwirtschaft ausüben. Wenn das Bewusstseinsniveau der Mehrheit der Bevölkerung erst einmal soweit gestiegen ist, dass sie sich zu den Prinzipien eines Programms für umfassende Demokratie bekennt - ein Schritt, an dem besagte Mehrheit jedes Interesse hat -, glaube ich jedoch, dass die soeben gemachten Vorschläge vollkommen praktikabel sind, obwohl es natürlich je nach den lokalen Bedingungen starke Variationen von Land zu Land und von Gebiet zu Gebiet geben kann. Natürlich sollten wir nicht die Probleme unterschätzen, die sich aus den heutigen, beinahe allmächtigen Methoden von Gehirnwäsche und ökonomischer Gewalt ergeben, Methoden, die sich bei der Unterdrückung einer Bewegung für umfassende Demokratie als effektiver erweisen könnten als die nackte Gewalttätigkeit des Staates. Dennoch meine ich, dass die vorgeschlagene Strategie eine realistische Strategie auf dem Weg zu einer neuen Gesellschaft ist.


 

[1] Peter Marshall, Nature’s Web, an Exploration of Ecological Thinking (London: Simon & Schuster, 1992).

[2]  Siehe etwa David Pepper, Eco-Socialism: From Deep Ecology to Social Justice (London 1993) S.199.

[3]  Wie in England private Wachkräfte aus der Unterschicht angeworben wurden, um mit den Aktivisten der Grünen „fertig zu werden“, die beim Bau der Umgehungsstraße von Newbury gegen den damit verbundenen Waldverlust protestierten, hat sehr anschaulich John Vidal in The Guardian vom 25.01.1996 beschrieben

[4]  Ted Trainer, The Conserver Society: Alternatives for Sustainability (London 1995)

[5] Ted Trainer, The Conserver Society S.220

[6]  Murray Bookchin, „Libertarian municipalism: an overwiew“ in Society and Nature Bd.1 Nr.1 (1992), S.102.

[7]  Murray Bookchin, „Communalism: the democratic dimension of anarchism“ in Democracy and Nature Bd.3 Nr.2 (1996)

[8]  Murray Bookchin, Dave Foreman, Defending the Earth: A Debate between Murray Bookchin and Dave Foreman, (Montreal 1991), S.61-62.

[9]  Murray Bookchin, „Libertarian municipalism: an overview“, S.102

[10]  David Pepper, Eco-Socialism, S.200.

[11] Roy Morrison, Ecological Democracy, (Boston: South End Press, 1995), S. 25.

[12] Roy Morrison, Ecological Democracy, S. 8-9.

[13] Roy Morrison, Ecological Democracy, S. 25.

[14] Roy Morrison, Ecological Democracy, S. 9.

[15] Siehe Janet Biehls Besprechung von Kirkpatrick Sales Buch Rebels Against the Future: The Luddites and Their War on the Industrial Revolution, Lessons for the Computer Age (Reading, MA: Addison-Weslex, 1995) in Green Perspectives, Nr. 36 (Februar 1996), S. 8.

[16] Roy Morrison, Ecological Democracy, S. 12.

[17] Roy Morrison, Ecological Democracy, S. 138-40.

[18] Roy Morrison, Ecological Democracy, S. 14-15.

[19] Roy Morrison, Ecological Democracy, S. 22.

[20] Roy Morrison, Ecological Democracy, S. 144.

[21] Roy Morrison, Ecological Democracy, S. 161.

[22]  Takis Fotopoulos, „The economic foundations of an ecological society“ in Society and Nature Bd.1 Nr.3 (1993).

[23]  David Pepper, Modern Environmentalism (London 1996), S.321.

[24]  Howard Hawkins, The Greens Bulletin  (April 1992) S.27-30

[25]  Murray Bookchin, Post-Scarcity Anarchism (London 1971), S.217.

[26]  Cornelius Castoriadis, Philosophy, Politics, Autonomy (Oxford 1991), S.204.

[27] Siehe auch Murray Bookchin, „The ghost of anarcho-syndicalism“ in Anarchist Studies Bd.1 Nr.1 (Frühjahr 1993).

[28] Ich möchte an dieser Stelle auf die wichtigen Werke James Robertsons zu diesem Thema hinweisen; siehe z.B. seinen Artikel „Economics of local recovery“ in Society and Nature, Vol. 1, Nr. 1 (1992), und sein Buch Future Wealth (London: Cassell, 1989), Kapitel 5. Siehe auch Paul Ekins, Trade for Mutual Self-Reliance (London: TOES Publications, 1989), Local Economic Self-Reliance (London: TOES Publications, 1988); Johan Galtungs Beitrag in The Living Economy, Paul Ekins (Hg.) (New York: Routledge & Kegan Paul, 1986), S. 97-109 und C. George Benello et al., Building Sustainable Communities (New York: Bootstrap, 1989), Kapitel 18-20.

[29] Vgl. etwa das auch von James Robertson erwähnte „Ortszentrierte Wirtschaftsprojekt“ (Homegrown Economy Project) der Stadt Saint Paul, Minnesota, das eine Reihe umfassender Kriterien verwendet, um die örtliche Wirtschaft durch die Gründung neuer und die Erhaltung alter Unternehmen zu fördern (J. Robertson, Future Wealth (London: Cassell, 1989), S. 43), und ähnliche Experimente in Bologna, Bremen usw., die ich an anderer Stelle erwähnt habe, zum Beispiel in Eleftherotypia (22. September 1990).

[30] Für eine Beschreibung des LETS-Systems siehe Ross V.G. Dobson, Bringing the Economy Home from the Market (Montreal: Black Rose Books, 1993).

[31] Murray Bookchin, „Comments on the international social ecology network gathering and the ‚deep social ecology’ of John Clark“, Democracy and Nature, Vol. 3, Nr. 3 (1996).

[32] Takis Fotopoulos, Dependent Development: The Case of Greece (Athen: Exantas Press, 1985 und 1987).

[33] So zum Beispiel in Gemeinden der australischen Aborigines, aber auch in Großbritann/span> Roy Morrison, Ecological Democracy, S. 154.

[38] Mogens Herman Hansen, The Athenian Democracy in the Age of Demostehenes (Oxford: Blackwell, 1991), S. 313.

 


 

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rdian (1. Juni 1992).

[36] Siehe z.B. V. Andersons Alternative Economic Indicators (New York: Routledge & Kegan Paul, 1991).

[37] Roy Morrison, Ecological Democracy, S. 154.

[38] Mogens Herman Hansen, The Athenian Democracy in the Age of Demostehenes (Oxford: Blackwell, 1991), S. 313.

 


 

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